Kopfhörer mit Active Noise Cancelling (ANC) sind aktuell im Trend und jeder namhafte Hersteller will natürlich dabei sein. Nach Microsoft und Sony haben nun Beyerdynamic mit den Lagoon ANC einen ANC Kopfhörer für unterwegs vorgestellt. Im Test muss er zeigen, ob er es mit der Konkurrenz aufnehmen kann.
Als jahrelanger Beyerdynamic Nutzer ist es für mich natürlich umso interessanter, wie bzw. ob sie sich mit Klassikern wie dem DT770 PRO messen können. Mit den Beyerdynamic Eigenheiten bin ich durch jahrelange Nutzung von Beyer Kopfhörern wie dem DT770 PRO und DT1770 PRO schon vertraut, aber dazu später mehr.
Features bringen sie schon mal einige mit:
- Bluetooth: 2
- Codecs: AptX, AptX LL, AAC, ABC, mSBC
- Aufbau: Dynamisch, Geschlossen, Ohrumschließend
- Besonderheit: Light Guide System (LGS)
- Nennimpedanz: 20 Ohm
- Übertragungsbereich: 10-30.000 Hz
- Kennschalldruckpegel: 91 dB SPL (@ 1 mW @ 500 Hz)
- Schalldruckpegel: 107 dB SPL (@ 40 mW@ 500 Hz)
- Klirrfaktor: < 0,02 % ((@ 1 mW @ 500 Hz)
- Lautsprecherdurchmesser: 40 mm
- Nennbelastbarkeit: 40 mW
- Akkulaufzeit:
- Bis zu 45h ohne ANC
- Bis zu 24,5h mit ANC
- Kabelgebunden bis zu 31,5h mit ANC
- Sprechzeit Bluetooth bis zu 47h
- Ladezeit ca. 3h
- Anschluss: 3,5mm Klinke, USB Type C
- Gewicht: 283g
- Steuerung: Touch-Gesten, iOS/Android APP
- Lieferumfang: 1,20m Klinkenkabel 3-Polig, Transport Case, USB Type A auf C Kabel
Soweit klingt es gut und zumindest AptX ist an Bord, um für eine höhere Übertragungsqualität zu sorgen.
Die Verarbeitung fällt direkt positiv aus. Zwar bestehen die Lagoon ANC fast komplett aus Kunststoff, sie fühlen sich aber keinesfalls billig an. Das Material erinnert auch ein wenig an die DT770 PRO, die ziemlich robust daherkommen. Die Langlebigkeit ist aber natürlich schwer zu beurteilen nach ein paar Wochen Testen. Jedenfalls knarzt und knackt nichts und alles sitzt fest an seinem Platz.
Das beiliegende Hardcase wirkt stabil und sollte die Kopfhörer beim Transport ordentlich schützen. Aber zugegeben: Benutzt habe ich es nie, da es die Kopfhörer dann doch recht sperrig macht. Einfach zusammengefaltet sind sie nämlich super kompakt – im Case dagegen… nicht mehr so sehr. Außerdem nehme ich sie ja eh mit zum Musik hören und nicht um sie im Case spazieren zu tragen 😉 .
Die Verbindung mit einem Smartphone herzustellen ist denkbar einfach. Kopfhörer an, Smartphone mit aktiviertem NFC an die linke Hörmuschel gehalten, fertig. Wer kein NFC hat drückt einfach den Power Button durch und hält ihn kurz gedrückt bis der Pairing Modus aktiv ist. Der wird einerseits angesagt, aber auch durch das Light Guide System angezeigt.
ANC-Kopfhörer bei uns im Shop
Light Guide System
Das Light Guide System, oder kurz LGS, soll über den Status der Kopfhörer informieren, ohne dafür außen nervige LED blinken zu lassen. Diese LED wurden nämlich in die Ohrmuscheln verbannt und sobald die Kopfhörer eingeschaltet sind aber nicht auf den Ohren sitzen zeigen sie über Farbcodierung den aktuellen Ladezustand oder auch den Verbindungszustand an. Der Einfachheit halber hier mal die Übersicht, schamlos von der Beyerdynamic Seite kopiert:
Aufladen Akku 0-30% 30-70% 70-99% voll (100%) |
rotes Pulsieren gelbes Pulsieren grünes Pulsieren grünes Dauerleuchten |
Akku ist fast leer | 4 x rotes Blinken |
Bluetooth®-Verbindungsmodus aktiv (Pairing) | linke und rechte Gehäuseschale blinken innen abwechselnd blau |
Bluetooth®-Verbindung aktiv | oranges Dauerleuchten |
Bluetooth®-Verbindung verloren | langsames blaues Blinken mit Pausen von 3 Sek. |
Medienwiedergabe aktiv | oranges Dauerleuchten |
Eingehender Anruf | schnelles blaues Blinken mit Pausen von 1 Sek. |
Während eines Telefonats | oranges Dauerleuchten |
Anzeige „Sound-Dosis“ (Belastung des Gehörs) | Nach Absetzen des Kopfhörers wird der Status 3 Sek. lang auf einer Skala zwischen grün und rot angezeigt. |
Links-rechts-Anzeige | Dauerleuchten links weiß, rechts rot nachdem man den abgelegten Kopfhörer wieder in die Hand nimmt |
Firmware Update Modus | rosa Blinken |
Standby-Modus | Wird der Kopfhörer länger als 10 Sekunden nicht benutzt, schaltet er das Light Guide System aus. |
Sofern die Kopfhörer vor mir auf dem Tisch liegen ist das irgendwo ganz praktisch, auch bei der Einrichtung, Stichwort Pairing Modus, nicht übel. So im Großen und Ganzen aber irgendwie auch eher ein Gimmick. Zwei kleine LED hätten den Job auch getan und das Argument, dass dadurch der Sitznachbar nicht durch Blinken genervt wird… nunja. Wann habt ihr zuletzt im Flugzeug vor euch hin geflucht dass die winzige Status LED des Sitznachbarn da ist? Ich zumindest noch nie.
Wo wir bei den Features sind. Die Trageerkennung, also die Erkennung ob die Kopfhörer gerade auf dem Ohr sitzen oder nicht funktioniert soweit gut, allerdings dauert es immer fünf bis zehn Sekunden, bis die Musik dann auch pausiert. Außerdem auch nur dann, wenn ich die Kopfhörer ganz abnehme, um den Hals hängend erkennt der Sensor sie als noch aufgesetzt und macht einfach weiter. Das Light Guide System springt hingegen sofort an.
MOSAYC-Höranpassung und MIY App
Seit den Aventho Wireless bietet Beyerdynamic die sogenannte MOSAYC-Höranpassung per App an. Diese soll sicherstellen, dass die Kopfhörer auf das Hörvermögen des Trägers angepasst sind und besten Klang liefern.
Der Test ist dabei ziemlich simpel: Einmal mit dem Smartphone verbunden startet man die MIY (make it yours) App und legt sich ein Konto an. In diesem wird die Personalisierung gespeichert. Danach beginnt auch schon der Hörtest, den man am besten in einer sehr leisen Umgebung und mit deaktiviertem ANC durchführt.
Nach dem Test gibt es dann einen Regler, mit dem die Intensität der Anpassung eingestellt werden kann. Für mich als jemand mit einem noch recht guten Gehör sind die Unterschiede marginal. Die Bühne wurde etwas breiter und der Sound insgesamt etwas fülliger, gerade die Hintergrundgeräusche werden etwas besser herausgearbeitet. Detailverbesserungen also. Für andere Nutzer mit schlechterem Gehör, insbesondere bei unterschiedlichem Hörvermögen auf beiden Ohren, war die Verbesserung aber deutlich intensiver und die Nutzer waren ziemlich positiv überrascht über diese Klangverbesserung.
Solltet ihr also zu den Nutzern mit Hörschäden bzw. -beeinträchtigungen gehören, würde ich euch einen Probelauf definitiv nahelegen.
Die MIY App ist ansonsten recht spartanisch und bietet nur noch wenige Funktionen. So kann darüber die Firmware der Kopfhörer aktualisiert und die Empfindlichkeit der Touchflächen geregelt werden. Außerdem gibt sie eine Statistik aus, wie viel „Resthörzeit“ noch für den Tag bleibt. Dafür analysiert die App Wiedergabedauer und Lautstärke der Kopfhörer und berechnet zusammen mit eurem Hörprofil aus dem Hörtest einen Wert, ab dem das Gehör Schaden nehmen könnte. Hört man also oft, lange und laut Musik meckert diese „EarPatron“ getaufte Software, dass man eine Pause machen sollte. Ob diese Berechnung wirklich stimmt, kann ich nicht beurteilen. Es ist aber ganz nett zu wissen, dass man eine entsprechende Warnung bekommt, wenn man es übertreibt.
Abgesehen von der Ersteinrichtung und um ein wenig mit der Anpassung zu spielen habe ich die App im Alltag letztlich aber nie genutzt.
Tragekomfort und Bedienung
Ok, genug Features und Spielereien, ab zum Wichtigsten. Naja, Zweitwichtigsten. Anfangs wirkt der Anpressdruck der Lagoon ANC, Typisch für Beyerdynamic, noch recht straff, nach kurzer Eingewöhnung allerdings fällt es nicht weiter auf und sie sind sehr bequem. Selbst längere Hörsessions sind damit kein Problem, auch für mich als Brillenträger nicht. Meine recht großen Ohren passen bequem in die Ohrpolster, ohne dass es irgendwo drückt. Im Sommer wird es zwar irgendwann warm unter den Lagoon ANC, aber nicht unangenehm warm. Meine Beyerdynamic DT1770 PRO sind deutlich wärmer mit ihren Velours-Polstern.
Beim Lagoon setzt Beyerdynamic dagegen auf Kunstleder. Nicht mein Favorit unter den Materialien, aber dennoch angenehm zu tragen. Schönes Detail: Die Ohrpolster sind austauschbar, so wie fast alle Teile bei Beyerdynamic. Ersatzteile gibt es problemlos im hauseigenen Ersatzteilshop.
Die Touch-Gesten sind ziemlich intuitiv und schnell verinnerlicht. Doppelt tippen für Play/Pause, nach vorne streichen für den nächsten, nach hinten für den vorherigen Song. Hoch/runter für die Lautstärke und einfach tippen, um einen Anruf anzunehmen. Die Erkennung funktionierte bei mir problemlos und Fehlerkennungen hatte ich nie soweit ich mich erinnern kann.
ANC-Kopfhörer bei uns im Shop
Sound
So, jetzt aber zum Sound. Auch wenn Beyerdynamic drauf steht, muss ich direkt sagen: Die Abstimmung ist mehr in Richtung Mainstream denn neutral. Das macht auch nichts, denn das ist natürlich auch die angepeilte Zielgruppe. Das bedeutet: Jede Menge Bass, Höhen und Mitten sind aber auch mehr als ausreichend präsent.
Durch die Abstimmung macht gerade alles Elektronische richtig Spaß, aber auch Pop und gerade Rap/HipHop-Fans dürften hier voll auf ihre Kosten kommen. Wirkliche Negativpunkte gibt es beim Sound auch schlicht nicht. Klar, verglichen mit einem High-End Setup fehlt ein wenig Bühne, feine Details gerade in den Höhen gehen verloren, die Ortung einzelner Instrumente ist nicht perfekt, etc. – aber das ist alles Meckern auf sehr hohem Niveau und dürfte gerade die Zielgruppe wenig stören. Für mich ist der Lagoon ANC fast ein wenig zu basslastig, gerade im Rock und Metal stört zu viel Bass für meinen Geschmack und ich ziehe eine komplett neutrale Abstimmung vor. Aber das ist natürlich Geschmackssache.
Wer schon mal Beyerdynamic Kopfhörer genutzt hat, dem kommt bestimmt der Begriff „Beyer-Peak“ bekannt vor. Darunter versteht man einen Hang zum Hochfrequenten bei Beyerdynamic, gerade in den Pro Modellen. Dieser Beyer-Peak ist auch bei den Lagoon ANC vorhanden und hörbar, aber weniger stark ausgeprägt als beispielsweise bei den Tesla Modellen wie dem DT1770 PRO. Nach einer Weile gewöhnt man sich daran und später klingen die meisten anderen Kopfhörer dann auch irgendwie langweilig wenn diese kleine Spitze ins Hochfrequente fehlt.
Für den audiophilen Nutzer hat Beyerdynamic dann nämlich noch den Amiron Wireless in Petto, der überall noch eine Schippe drauflegt und dafür auf ANC verzichtet.
Apropos ANC: Mit aktiviertem ANC verliert der Lagoon etwas an Tiefe und Details. Grundrauschen, das beispielsweise bei Live-Aufnahmen dazugehört, wird fast komplett geschluckt und generell wirkt der Sound etwas dünner. Allerdings ist der Einfluss des ANC auf den Klang hier nicht so stark ausgeprägt wie bei den BOSE QC35 (unser Test).
AptX LL (Low Latency) erledigt seinen Job auch hervorragend und die bei vielen Kopfhörern auftretende Latzenz zwischen Ton und Video bei Filmen und Serien ist bei den Lagoon ANC quasi nicht vorhanden – weder bei Netflix via Huawei P30 Pro, noch bei Filmen und Serien auf meinem Surface Pro 3. Wenn man sich genau darauf konzentriert und nur darauf achtet kann man noch eine minimalste Latenz erkennen, aber auch hier gilt: Im Alltag nicht wahrnehmbar und damit, für mich, nicht vorhanden.
Generell ist der Ton bei Filmen und Serien auch hervorragend. Stimmen kommen klar hervor, auch bei aktiviertem ANC, und gerade Actionfilme machen mit dem verfügbaren Bass natürlich viel Spaß.
Generell noch ein paar Worte zu ANC. Ein echter Vergleich mit den anderen Kandidaten fällt mir schwer, da jeder seine eigenen Stärken und Schwächen hat. Im Flugzeug funktioniert das ANC der Lagoon wunderbar und das nervige monotone Brummen der Triebwerke wird effektiv unterdrückt. Geschlagen geben müssen sie sich hier nur den Bose QC35, die noch einen Tick mehr Ruhe schaffen. Dafür kommt der Lagoon ANC ganz ohne den Druck auf den Ohren aus, der mich bei Bose ziemlich gestört hat.
In anderen Umgebungen hatte ich das ANC zugunsten der etwas besseren Klangqualität allerdings immer deaktiviert. Stimmen und anderen Hochfrequente Töne kann es nicht so effizient filtern wie Microsofts Surface Headphones (unser Test) und die generelle Geräuschkulisse in einer Bahn oder ähnliches nicht so gut wie Sonys XM3 (zum Test). Dank guter passiver Dämpfung ist das aber nicht wirklich nötig, da die meisten störenden Nebengeräusche bereits gut unterdrückt werden.
ANC-Technisch siedeln sich die Lagoon ANC also irgendwo im Mittelfeld des aktuellen Who-is-Who der ANC-Kopfhörer an. Für den Einstieg gar nicht mal schlecht.
Akkulaufzeit
Die ist da ja auch noch. Wie eingangs erwähnt soll diese bei über 27 Stunden mit ANC und sogar 45 Stunden ohne ANC liegen. Eine Messung mit Stoppuhr ist daher schwierig. Aber um es anders zu beschreiben: Zu Beginn des Tests hatte mein Testpaar laut Ansage noch etwa 80 Prozent Akkulaufzeit übrig. Nach 3 Tagen, etwa 7 oder 8 Stunden Nutzung, habe ich sie dann voll geladen bevor es auf Reisen ging. Seitdem – rund drei Wochen mittlerweile – habe ich sie nicht mehr geladen. Da ich nicht allein unterwegs war, war die Hörzeit begrenzt, auf 30+ Stunden kam ich in dieser Zeit aber locker. Aktueller Stand laut LGS: 30 bis 70 Prozent Restkapazität.
Ob die 45 Stunden am Ende komplett erfüllt werden kann ich demnach nicht genau sagen, aber die Laufzeit ist definitiv mehr als lang genug und kann sogar Sony und Bose hinter sich lassen. Die Surface Headphones lass ich mal außen vor, deren Laufzeit war ja nie so richtig konkurrenzfähig.
Fazit Beyerdynamic Lagoon ANC
Kurzum: Für mich sind die Lagoon ANC die derzeit besten ANC Bluetooth Kopfhörer auf dem Markt. Sie haben ein paar Eigenheiten und auf dem Papier bieten Sonys XM3 noch mehr Features – klanglich und beim Tragekomfort gewinnen für mich aber die Lagoon. Dazu kommt der modulare Aufbau mit austauschbaren Ohrpolstern die abgesehen von Sennheiser mit den PCX 550 (zum Test) keiner der Kontrahenten bietet.
Die Akkulaufzeit ist ebenfalls top und die MOSAYC Soundanpassung kann für Nutzer mit eingeschränktem Hörvermögen eine Offenbarung sein.
So richtig negative Punkte fallen mir tatsächlich nicht ein. Der Beyer-Peak ist Gewöhnungssache, ebenso der recht hohe Anpressdruck der Ohrpolster. Die App könnte eventuell noch etwas umfangreicher Informationen über die Hörgewohnheiten zusammenfassen, wo sie doch eh alles analysiert. Was mir tatsächlich fehlt, ist eine Option, das Soundprofil ein wenig anpassen zu können. Oder anders gesagt: Den Bass etwas reduzieren zu können.
Preislich ist die UVP von 399 Euro natürlich eine Hausnummer, liegt aber im gleichen Spektrum wie die versammelte Konkurrenz. Nur dass diese schon etwas günstiger zu haben ist, da länger auf dem Markt. Angesichts der Leistung sind sie das Geld aber durchaus wert. Gerade für Vielreisende dürfte sich die Investition ziemlich schnell lohnen.