Straßen ziehen, Kraftwerke bauen, Wohn- und Industriegebiete zuweisen, Staus entschärfen: Dem kleinen finnischen Entwicklerstudio Colossal Order ist mit Cities: Skylines auf Anhieb der Klassenprimus im darbenden Genre der Städtebauspiele gelungen und verweist die zuletzt schwächelnde Traditionsreihe SimCity auf die Plätze. In unserem Test mit Video erweist sich das Gameplay bei Cities: Skylines als komfortabel und intuitiv, die wachsende Stadt begeistert durch Detailreichtum und eine konsequente Simulation der Stadtentwicklung. Ein wichtiges Spielelement werden leidenschaftliche Gamer allerdings vermissen.
Bürgermeisterliche Werkzeuge seit 1989: Baugebiete, Boulevards, Bulldozer
Nachts reißt einen Fluglärm aus dem Schlaf, morgens steht man Blechstange an Blechstange im Standardstau des Zubringers, am Wochenende verflucht man den lückenhaften Fahrplan der U-Bahn. Und dann noch die streikende Müllabfuhr und die überlasteten Krankenhäuser. Wer hat eigentlich diese miese Stadt verbrochen?
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Mit Städtebausimulationen kann man zumindest auf dem heimischen PC zeigen, wie es besser geht. Seit dem Genre-Pionier SimCity von 1989 – damals noch auf Amiga, C64 und Atari ST – ist das Grundprinzip dasselbe: Man schlüpft in die Rolle des Bürgermeisters einer zukunftsträchtigen Siedlung, weist Baugebiete aus und errichtet städtische Infrastruktur in Form von Straßen, Wasserrohren und Stromnetzen. Je attraktiver die neue Stadt, desto mehr Bewohner und Firmen ziehen zu. Mit der Einwohnerzahl steigen die Probleme der boomenden Stadt: Müllabfuhr, Gesundheitswesen und Bildung wollen organisiert werden. Umweltverschmutzung und Verkehrsinfarkte bedürfen unserer Aufmerksamkeit. Zum Glück muss man sich als Bürgermeister der Stadtsimulation bei Umbaumaßnahmen nicht mit solchen Bremsern wie Stadträten, Wutbürgern oder gar Eigentumsrechten herumschlagen. Man greift einfach zum Bulldozer, wenn man die Stadt mal wieder ein wenig umfrisieren will.
Das Entwicklerstudio Maxis dominierte über Jahrzehnte mit seinen SimCity-Titeln die Städtebausimulation, büßte aber zuletzt an Qualität ein: Die 2013 erschienene Auflage der Spielserie enttäuschte durch unnötigen Online-Zwang, viele Bugs und unlogische Spielprinzipien. Maxis wurde im März 2015 geschlossen. In die Bresche springt nun Colossal Order mit Cities: Skylines und will die Fans des Genres endlich mit einer zeitgemäßen Städtebausimulation erfreuen.
Von der Siedlung zur Metropole
Cities: Skylines spielt man als Endlosspiel im Single Player-Modus. Eine Multiplayer-Variante ist nicht vorhanden. Das Ziel ist eine möglichst große Zahl von Cims – so die Bezeichnung für die vom Spiel dargestellten Einwohner. Los geht es für Eigenbauhausen auf einem Areal von 2 x 2 Kilometern Kantenlänge, das nicht mehr als eine Autobahnabfahrt aufweist. Ich beginne damit, erste Flächen als Wohngebiete, Gewerbegebiete und Industriezonen zu bestimmen, ein paar Straßen zu bauen, ein Kraftwerk und die Kanalisation zu errichten. Nur eine hochoptimierte und attraktive Stadt kann hoffen, das Maximum von einer Millionen Cims zu erreichen. Die Stadt kann sich dafür auf bis zu neun Feldern (mit entsprechendem Mod bis zu 25 Feldern) ausbreiten und so zur beeindruckenden Metropole werden.
Ein Tutorial bietet das Spiel nicht und hat es auch nicht nötig. Tooltipps erläutern mir alle wichtigen Schritte. Cities: Skylines wächst in seiner Komplexität so allmählich wie die prosperierende Stadt. Mit bestimmten Einwohnerzahlen erreicht man Meilensteine, die neue Baumöglichkeiten und Spielkonzepte freischalten. Beispiel Verkehr: Verfüge ich anfangs nur über Straßenbau, kann ich später mit Buslinien, U-Bahnen und Zugverbindungen die Infrastruktur deutlich vielschichtiger verwalten.
Die kontinuierlich fortschreitende Städtebausimulation bietet drei jederzeit umschaltbare Geschwindigkeitsstufen und eine Pausenfunktion, die nützlich ist, wenn ich in Ruhe meine nächsten Bauvorhaben planen möchte.
Besser Steuern steuern
Abgesehen vom eigenen Gestaltungswillen bremst mich nur die Stadtkasse. Von Steuern in die Kasse gespült, wird das Geld durch ehrgeizige Projekte wie einer Universität, einem Botanischen Garten oder einem Touristenmagneten wie der Freiheitsstatue schnell wieder aufgezehrt. Wer nicht warten möchte, aktiviert Spieloptionen, die einem unendlich Geld zur Verfügung stellen und von Beginn an alle Gebäude freischalten.
Per Pinselstrich lassen sich in Cities: Skylines einzelne Stadtviertel definieren, in denen per Richtlinien gesonderte Bestimmungen gelten. Man kann beispielsweise Gewerbegebiete steuerlich entlasten oder Wohngebiete stärker zur Kasse bitten. Oder man verbannt Schwerlastvekehr aus dem Viertel, führt eine Rauchmelderpflicht ein und legalisiert weiche Drogen. Dieses Instrument spezialisiert einzelne Stadtteile und kann Industrieparks, Vergnügungsviertel und Luxus-Wohnanlagen hervorbringen.
Das Spiel geht im Wesentlichen frustfrei voran, die Stadt wächst gemächlich vor sich hin. Nur hin und wieder kommt es zu Schieflagen, die sich durch das Einhalten einiger Grundregeln zum Städtebau leicht vermeiden lassen: Zu wenige Ärzte und Krankenhäuser führen zu einem erhöhten Krankenstand oder einer Epidemie. Wer Feuerwachen und Polizeistationen ungünstig setzt, riskiert viele abgebrannte Gebäude und eine hohe Verbrechensrate. Ein Mangel an Schulen führt zu Beschwerden der Bürogebiete, dass ihnen die qualifizierten Arbeitskräfte fehlen. Und ganz wichtig: Das Abwasser immer unterhalb der Frischwasserentnahme in den Fluss pumpen, nicht oberhalb. Die Notaufnahme der Krankenhäuser dankt.
Big City Life: Stattliche Grafik, detailreiches Spieldesign
Cities: Skylines überzeugt durch eine detaillierte Stadtdarstellung, die auf allen Zoomstufen eine schöne Ansicht bietet. Und die Städte sind ansprechend groß: Großstädte, die sich über viele Felder erstrecken, vermitteln mit ihren Wolkenkratzern, Straßenschluchten, Brücken und Containerterminals tatsächlich den Eindruck einer pulsierenden Metropole. Die Grafik läuft flüssig und ermöglicht auch bei voll ausgebauten Städten eine saubere Performance. Während meines Tests stürzte das Spiel nur einmal ab.
Neben Gebäuden sind auch Fahrzeuge und Cims individuell modelliert und erfüllen die Stadtsimulation mit Leben. Ganz wie bei einer Modelleisenbahn: Es macht mir Spaß, einfach nur dem Treiben in den Straßen zuzusehen, die Züge bei ihren Ein- und Ausfahrten in den Bahnhof zu beobachten und ein Flugzeug beim Landeanflug auf den Flughafen abzupassen. Der Tilt-Shift-Effekt, der sich nach Belieben regulieren und abschalten lässt, verstärkt die Spielzeugoptik. Ein beliebter Mod von Cities: Skylines erlaubt Spaziergänge aus der First-Person-Perspektive in den Straßen der selbstgebauten Stadt.
Dabei ist der Detailreichtum nicht nur Augenzucker, sondern bildet tatsächlich sinnvoll Spielmechanismen ab: Lastwagen im Wohngebiet sprechen dafür, dem nahen Industriegebiet lieber eine neue Zufahrt zu bauen. Löschfahrzeuge, die im Stau stehen, kommen tatsächlich zu spät für ein brennendes Gebäude. Einzelne Cims haben nicht nur feste Wohnsitze und lassen sich auf ihrem alltäglichen Arbeitsweg beobachten. Sie durchleben auch komplett die Phasen eines Menschenlebens, besuchen die Schule, ergreifen Jobs, werden zu Rentnern und gehen schließlich auf ihre letzte Reise zum Friedhof. Wer möchte, kann die Namen von Vierteln, einzelnen Gebäuden und sogar Cims ändern.
In ihrer ganzen Lebendigkeit bleibt die Stadt allerdings statisch: Die Entwickler haben auf einen Tag-Nacht-Wechsel und auf die Darstellung verschiedener Jahreszeiten verzichtet. Damit entfallen auch Berufsverkehr, ruhige Nachtphasen und Wetterlagen, die das Stadtleben beeinflussen.
Freie Fahrt für freie Bürger
Cities: Skylines klingt nach einem Serientitel. Das ist nicht ganz falsch, denn vom selben Entwicklerteam kommt die verwandte Verkehrssimulation Cities in Motion. Das merkt man vor allem an der Bedeutung des Verkehrsflusses in Cities: Skylines. Die Optimierung des Woher und Wohin der Cims ist die zentrale Stellschraube, um Eigenbauhausen zur Metropole wachsen zu lassen.
Straßen kann ich per Mausklick gerade, gebogen und in freier Form in die Landschaft setzen. Von der zweispurigen Nebenstraße mit Tempo 40 bis zur sechsspurigen Autobahn mit einer Höchstgeschwindigkeit von 100 existieren vier Straßenkategorien, die durch eine Einbahnstraßenoption und unterschiedliche Bepflanzungen noch mehr Vielfalt bieten. Kreisverkehre, Schnellstraßenkreuzungen und Auffahrten bilden Verbindungelemente. Straßen lassen sich in mehreren Ebenen als Hochstraßen errichten, um Ampelkreuzungen zu vermeiden. Aus diesem vielfältigen Asphaltangebot die richtigen Elemente zu wählen und zu arrangieren, um Verkehrsprobleme zu lösen, ist die große Kunst von Cities: Skylines.
Hinzu kommen die Linien öffentlicher Verkehrsmittel, die bei kluger Anlage die Blechlawine auf den Straßen reduzieren. Busse, U-Bahnen, Züge und Fähren wollen zu einem funktionierenden Gesamtsystem verwoben werden: Die Haltestelle hierhin oder doch einen Block weiter? Ist um die Innenstadt vielleicht eine Ringlinie sinnvoll? Verbinde ich den Flughafen mit der U-Bahn oder mit einem oberirdischen Bahnhof?
Zahlen, Daten, Karten – Der große Stadtreport
Ein großes Plus für die Spielmotivation bei Cities: Skylines ist die Transparenz des Geschehens. Per anschaulicher Kartenlayer kann ich mir jederzeit einen Überblick zu allen bedeutenden Kennwerten der Stadt verschaffen, sei es die Stromversorgung, die Lärmbelastung, die Verkehrslage, die Zufriedenheit der Cims oder das Gesundheitswesen. Auch meine Gegenmaßnahmen werden sofort angezeigt. Setze ich beispielsweise eine neue Müllverbrennungsanlage, profitiert die Umgebung gleich von einer besseren Müllbeseitigung – und leidet gleichzeitig unter einer erhöhten Luftverschmutzung.
Angesichts der hohen Bedeutung des Verkehrsaufkommens vermisse ich eine zentrale und detaillierte Übersicht zu den Verursachern von Staus. Um herauszufinden, woher Stauteilnehmer kommen und wohin sie wollen, muss ich meine Cims stalken und den Pendelbedarf manuell analysieren. Das ist mühsam.
Die Bedienung geht in Cities: Skylines schnell und intuitiv von der Hand. Nur in einigen Details ist der Straßenbau hakelig. Eine Undo-Funktion fehlt ebenso wie eine großflächige Planiermöglichkeit per Bulldozer. Auch das Setzen des quadratmeterhungrigen Flughafens war eine schwere Geburt: Das Spiel verweigerte eine geplante Position, da das Gefälle im Gelände zu steil war, zeigte mir aber zugleich keine Alternativen an. Nur durch langsames Schieben der geplanten Baufläche über die Karte konnte ich schließlich eine genehme Bauposition entdecken.
Nur Schrebergärten sind spannender
Die Stadt wächst, der Verkehr fließt, jedes Viertel ist schöner als das andere. Was will man mehr? Vielleicht erinnert sich ja der ein oder andere: Mit Bauklötzen, Sandkastensand oder Legosteinen fantastische Konstrukte zu errichten, war nur der halbe Spaß. Die andere Hälfte war: Das eigene Werk mit archaischer Zerstörungslust wieder zu demolieren. Dieses Element geht Cities: Skylines komplett ab. Es gibt keine Missionen und keine Zufallsereignisse, die die Stadt aus dem Gleichgewicht bringen. Ich kann weder Erdbeben, noch Tsunamis, noch einen brünftigen Godzilla auf Eigenbauhausen loslassen, um zu sehen, ob ich mit den Auswirkungen fertig werde.
Liebhaber des gemütlichen Aufbauspiels wird das nicht stören. Sie erfreuen sich am optimierten Verkehrsfluss und einem ästhetischen Stadtaufbau. Da ist eine Stadt in Cities: Skylines wie ein virtueller Schrebergarten, bei dem man immer wieder liebevolle Detailänderungen und Dekorierungen vornehmen kann. Wer hingegen die klassische adrenalinträchtige Herausforderung sucht, ist bei der Städtesimulation falsch.
Colossal Order hat dem Spiel leicht zu bedienende Modifizierungswerkzeuge spendiert. Per Steam Workshop steht reichhaltiger Content aus der Community bereit, der sich komfortabel zuschalten und wieder deaktivieren lässt: Das reicht von neu designten Straßenkreuzungen und der Nachbildung bekannter Bauten aus echten Städten bis hin zu Neujustierungen ganzer Spielkonzepte. Der Weg zu Missionen ist dann auch nicht mehr weit. Cities: Skylines hat das Potenzial, um unter Liebhabern von Aufbausimulationen lange das Stadtgespräch zu bleiben.
Fazit zu Cities: Skylines: Stadtgegeben!
Es ist schon erstaunlich, dass dem kleinen Entwicklerstudio von Colossal Order eine so attraktive und komplexe Städtebausimulation gelungen ist, während Maxis – hinter dem der Softwareriese Electronic Arts stand – daran zuletzt grandios scheiterte. Die Spieler freut es: Cities: Skylines spielt sich einfach rund und flüssig, die detailreiche grafische Aufbereitung sorgt für Schauwerte. Ich kann mich stundenlang darin verlieren, Stadtviertel zu planen und Verkehrswege zu verbessern. Wenn das Ziehen von Straßen mal hakt, hadere ich mit der Steuerung, mit der ich im Allgemeinen aber sehr zufrieden bin. Nach längerer Spielzeit fehlen mir Missionen und Katastrophen, die den betulichen Alltag meiner Stadt aufpeppen. Hier bringen möglicherweise Mods oder ein Add-On Besserung. Trotz kleiner Mängel: Cities: Skylines ist der beste Grund für Landflucht und darf sich zu Recht die Krone der Städtebausimulationen aufsetzen.
Cities: Skylines
- Genre: Aufbaustrategie, Stadtbau- und Verkehrssimulation
- Spielmodi: Single Player
- Plattform: PC, Mac
- Im Shop: Cities: Skylines
- Minimale Systemvoraussetzungen: Windows Vista/7/8/8.1 (64-bit) oder OS X 10.10 oder Ubuntu 14.10 (64-bit), Intel Core 2 Duo 3,0 GHz oder AMD Athlon 64 X2 6400+ 3,2 GHz, 4 GB RAM, NVIDIA GeForce GTX 260 512 MB RAM oder ATI Radeon HD5670 512 MB RAM, DirectX 11 (bei Windows)
- Empfohlene Systemvoraussetzungen: Windows 7/8/8.1 (64-bit) oder OS X 10.9 oder Ubuntu 14.10 (64-bit), Intel Core i5-3470 3,2 GHz oder AMD FX-6300 3,5 GHz, 6 GB RAM, NVIDIA GeForce GTX 660 2 GB RAM oder AMD Radeon HD7870 2 GB RAM, DirectX 11 (bei Windows)
- Weitere Voraussetzungen: 4 GB verfügbarer Festplattenspeicher, Internetverbindung für Produktaktivierung, Steam-Account (kostenlos) für Produktaktivierung