Das Thema AI ist mittlerweile fast überall, in einem Vogelfutterhaus hat es aber sogar uns überrascht. Der AI Bird Feeder von Netvue/Birdfy ist genau genommen ein Futterhaus mit integrierter Wildkamera. Wo ist die KI? Sie erkennt über 6000 Vogelarten auf den Aufnahmen. Wir haben die kuriose Technik ausprobiert.
Ein Vogelhäuschen für die Stange
Welchen Baum nehme ich denn nun? Diese Frage geistert mir durch den Kopf, als ich im Garten stehe und die kümmerlichen Stämmchen der Bäume scanne, die wir bisher im Garten gepflanzt haben. Der AI Bird Feeder kommt mit einer Halterung aus Metall und lässt sich über Rohrschellen sowohl vertikal als auch horizontal an Bäumen, Stangen, Holzelementen und Co. anbringen, wiegt aber auch entsprechend. Ein Stativ-Adapter sowie Schrauben und Dübel für eine Wandmontage sind ebenfalls dabei.
Der Waldrand klingt trotzdem erst einmal naheliegend für mich und dürfte das meiste Potential für Vogelaufnahmen bieten, er ist allerdings auch am weitesten vom nächsten Router oder Repeater entfernt. Der WiFi-Zugriff auf die Kamera und die auf separater MicroSD gespeicherten Aufnahmen dürfte daher abenteuerlich werden. Ich probiere es trotzdem und parke zur Sicherheit noch einen Repeater als (trotz Überdachung nur temporäre, da nicht wassergeschütze) WLAN-Brücke auf der Terrasse. Meine Mühen lohnen sich jedoch nicht: Die App „Netvue/Birdfy“ quittiert mir geringen WiFi-Empfang im 2,4-GHz-WLAN und damit keine Möglichkeit, auf das KI-Futterhäuschen über das Smartphone zuzugreifen.
AI Bird Feeder mit Sicherheitsfeatures
Eine Alternative muss her. Ich bringe den AI Bird Feeder daher an einer Sichtschutzwand aus Holz auf der Terrasse an. Hier stimmt der WiFi-Empfang, allerdings bleiben dafür die Vögel aus. Trotzdem nutze ich den Spot, um alle Features in der App durchzugehen. Anschaltbares LED-Licht, Sprachausgabe, Alarmton.. genau, der Bird Feeder kann auch als „getarnte“ Sicherheitskamera genutzt werden, wobei die Sprach- und Alarmfunktion vornehmlich für ungebetene Gäste wie Eichhörnchen gedacht ist.
Die Bewegungserkennung funktioniert nämlich nicht nur für Vögel. In der App lassen sich unterschiedliche Motive bestimmen, darunter Menschen, Fahrzeuge oder Vögel. Sind sie ausgewählt, werden zuverlässig kleine Videos auf der (nicht im Lieferumfang enthaltenen) MicroSD-Karte angelegt, wenn etwas im Garten passiert. Auch so kann jederzeit von überall auf die Live-Kamera zugegriffen werden. Die Sensitivität der Erkennung lässt sich einstellen und es besteht auch die Möglichkeit, „Abkühlzeiten“ zwischen Aufnahmen festzulegen.
Gegen die Nutzung als Sicherheitskamera sprechen allerdings zwei Gründe: Das Futterhaus wird zum einfachen Nachfüllen an einem gut zugänglichen Ort aufbewahrt, außerdem werden die Aufnahmen auf einer MicroSD-Karte in der Kamera gespeichert. Diesen Aspekt kann man beim Kauf also vernachlässigen.
Zusätzliche Abos für KI-Skills und Aufnahmedauer
Was es nicht gibt, sind Einstellmöglichkeiten bei der Aufnahmequalität und -dauer. Wer möchte, kann zumindest letztere über zusätzliche Abos erhöhen oder noch weitere KI-Filter im „AI Skill Store“ aktivieren. In diesem Shop können Entwickler unterschiedliche AI-Skills anbieten. Finden lassen sich zum Beispiel Angebote für Personen- und Haustiererkennung, wobei die einzelnen Motive entsprechend gelabelt werden können. Ähnliche Skills gibt es für die Postboten- oder Fahrzeugerkennung. Gleichzeitig bieten die Abos eine längere Aufnahmedauer zu Preisen von einstelligen USD-Beträgen im Monat.
Der Skill Vogelerkennung soll über 6000 Arten erkennen und ist schon mit einem Lifetime-Abo in den AI Bird Feeder integriert.
Es gibt zudem eine Schlaffunktion, falls die Kamera in bestimmten Zeiträumen inaktiv sein soll. Für die Nacht steht jedoch ein Infrarot-Modus bereit. Man kann den AI Bird Feeder also auch auf dem Boden positionieren und womöglich Igel oder Waschbären in der Nacht ablichten. Ausprobiert habe ich es jedoch nicht.
AI-Algorithmus ist völlig in dem Häuschen
Okay, nach zwei Tagen ohne Notification einer bestätigten Vogelaufnahme wage ich den nächsten Versuch mit höherem Einsatz. Der AI Bird Feeder wandert zurück an den Waldrand, den Repeater platziere ich mit Hilfe eines 20m-LAN-Kabels (Grüße gehen raus an die LAN-Partys der frühen 2000er) als LAN-Brücke soweit wie möglich am Futterhäuschen und die Sonnenblumenkerne bekommen Gesellschaft von Äpfeln und Meisenknödeln. Das Festmahl ist also eröffnet, aber kommt der AI-Algorithmus damit endlich zum Einsatz? Und werden die heimischen Vogelarten auch zuverlässig erkannt?
Immerhin sind auf der Rückseite der Verpackung beispielhaft 15 gängige (vorwiegend amerikanische) Vögel abgebildet, die der AI Bird Feeder erkennen soll. Darunter Spatzen, Tauben oder Rotkehlchen. Während ich die Vogelnamen übersetze, fruchtet meine neue Strategie und es schauen nach anfänglicher Zurückhaltung immer mehr Vögel beim Futterhäuschen vorbei – tatsächlich wird es nach einer Woche regelrecht belagert.
In der Notification-Liste trudeln parallel alle Aufnahmen ein und lassen sich ohne große Verzögerung abspielen. Mit einem Klick auf „KI-Bilder anzeigen“ wird die Aufnahme nach Vögeln durchsucht. Die Fotos mit den Ergebnissen kann man danach einzeln durchgehen. Und an diesem Punkt werde ich tatsächlich überrascht: Die KI-Erkennung funktioniert. Kleiber, Kohl- und Blaumeise, Buntspecht, Kernbeißer. Sogar männliche und weibliche Erlenzeisige, eine Sumpfmeise und ein Eichhörnchen wurden zuverlässig erkannt. Selbst wenn mehrere Vögel gleichzeitig vor der Linse umherhüpften, erkennt der AI Bird Feeder den Großteil davon korrekt.
Du merkst schon, mit dem AI Bird Feeder steigt man auch direkt ins Ornithologen-Game ein. Die App verlinkt dabei unter der Aufnahme die jeweilige (englische) Wikipedia-Seite des Vogels. Dort kann man sich schnell und unabhängig über den vorgeblich erkannten Vogel informieren. Die Zuverlässigkeit der KI-Identifikation hängt dabei am meisten von der Position des Vogels und der Sichtbarkeit der relevanten Merkmale ab. So kam es vor, dass bei viel Gewusel vor der Kamera nicht alle Vögel getaggt wurden oder ein Kernbeißer als Taube deklariert wurde.
Über ein Feedback-Formular lassen sich falsche Erkennungen mit dem jeweiligen Standort der Aufnahme und einem eigenen Vorschlag einreichen.
Einfacher Zusammenbau und teilbarer Zugriff
Zusammenbau und Einrichtung waren nebenbei bemerkt kein Problem. Angebracht werden müssen nur der Futtersteg, das Dach und die Halterung. Dann noch MicroSD-Karte einsetzen, via App formatieren, Kamera einschalten, über einen QR-Code zum WiFi hinzufügen. Fertig.
Sogar das Firmwareupdate des smarten Futterhäuschens ging schnell vonstatten. Ein weiteres cooles Feature für alle Vogelfreunde gibt es übrigens noch: Du kannst den Zugriff auf die Wildkamera einfach via QR-Code mit den Personen deines Vertrauens teilen oder der App-Community Fotos zur Verfügung stellen. Beachte generell, dass bei der Videoüberwachung in Deutschland die europäische Datenschutz-Grundverordnung () und das Bundesdatenschutzgesetz berücksichtigt werden müssen.
Solarmodul mit fraglichem Anschluss
Du fragst dich jetzt sicherlich, wie die Kamera überhaupt geladen wird, wenn man den AI Bird Feeder im Baum aufhängt. Zum Lieferumfang gehört ein Solarmodul mit USB-C-Anschluss und Gummi-Arm. Das kann einfach hinten angeschlossen werden. Der USB-Port ist mit einer Gummilasche gesichert, die jedoch nach unten aufgeklappt wird. Da der Anschluss nicht „überdacht“ ist, stellte sich mir im Test jedoch die Frage, wie es bei starkem Regen aussieht und ob das dauerhaft angeschlossene Solar-Panel dann wirklich so eine gute Idee ist. Trotz mehrmaligem starken Regen ist aber bisher nichts passiert.
Machen wir daher noch schnell einen Abstecher zum Lieferumfang, der sehr umfangreich ausfällt. Neben dem bereits erwähnten Montagematerial und dem Solar-Modul gibt es noch eine Bohrschablone, einen Quick-Guide und eine Schutzabdeckung gegen Eichhörnchen. Die verputzen nämlich im Winter gerne mal eine große Portion Vogelfutter. Für mich zwar kein Grund, sie vom AI Bird Feeder auszuschließen, allerdings sollte man ihn schon so anbringen, dass er leicht aufgefüllt werden kann. Immerhin hat Netvue das Dach umklappbar konstruiert, was den gesamten Nachfüllprozess vereinfacht.
Schade ist, wie viel Plastik für die Verpackung genutzt wird und dass es keine Möglichkeit gibt, das KI-Futterhaus an einer Öse aufzuhängen. Die Rohrschellen sorgen zwar für guten Halt, dürften auf lange Sicht aber in Äste einwachsen. Es gibt allerdings auch eine Bambus-Version, die für naturnahe besser geeignet ist.
Fazit: Ziemlich zuverlässige AI-Erkennung im Alltag
Insgesamt betrachtet ist der AI Bird Feeder ein nettes Spielzeug für Technik-affine, die ihr Vogelwissen auffrischen wollen oder nach der „etwas anderen“ Wildlife-Kamera suchen. Die Einrichtung ist einfach und die KI-Erkennung funktioniert im Alltag erstaunlich gut. Sie ergibt aber nur Sinn, wenn der Standort auch wirklich hin und wieder von unterschiedlichen Vögeln aufgesucht wird.
Ich hätte mir neben einer besseren Auflösung und Bildrate der Kamera noch eine Möglichkeit zum Aufhängen des Futterhauses und etwas mehr Einstelloptionen in der App gewünscht. Ich tendiere gerade an naturnahen Aufstellorten zudem zu unscheinbareren Versionen aus Holz, die Netvue aber ebenfalls im Angebot hat.
Immerhin ist der Skill zu Vogelerkennung lebenslang integriert, dürfte für den Hersteller aber auch eine gute Möglichkeit sein, entsprechende Daten zu sammeln. Die Anschaffungspreis von 200-300€* (je nach Zubehör und Ausführung) finde ich etwas hoch angesetzt. Gerade wenn man bedenkt, dass noch monatliche Abo-Gebühren hinzukommen, wenn man bspw. längere Aufnahmen speichern möchte.
AI-Themen im Blog
*Stand: März 2024