Tim Cook kündigte auf der Keynote Mitte Juni Apple Music an, die Frucht der 3-Milliarden-Übernahme von Beats Music. Nach Geplänkel um Konditionen fiel gestern um 17 Uhr der Startschuss: Nach einem Update von iOS und etwas später iTunes steht Apple Music bereit, um die Herzen der Musik-Streaming-Liebhaber zu erobern. Was der Dienst alles bietet und ob er wirklich besser ist als Spotify & Co., haben wir uns angeschaut und
angehört.
Mit iPod und iTunes hat Apple seinerzeit den Musikmarkt aufgemischt und den Weg für den Online-Kauf von Musik bereitet. Das war gestern. In den letzten Jahren sorgte eine neue Möglichkeit für Furore: Anstatt Musik zu kaufen, abonniert man den Zugang zu einer Musikbibliothek und kann sich so viel Musik anhören, wie man möchte. Im Gegensatz zu anderen Medien wie Buch und Film sind die Musikbibliotheken mit über 30 Millionen Titeln bei den Platzhirschen gigantisch. Einige Lücken gibt es trotzdem. Aufsehen erregte Talyor Swift, als sie Spotify den Laufpass gab und vor kurzem Apples Konditionen für Künstler im Probemonat kritisierte: Die sollten während der Gratistage nichts bekommen. Apple änderte dieses flugs und Tailor Swift erklärte umgehend ihre Liebe zum neuen Streaming-Dienst. Ihr Album 1989 findet man denn auch prominent in Apple Music präsentiert.
Wer einen der großen Musik-Streaming-Dienst kennt, kennt sie eigentlich alle. Weshalb es schwierig ist, sich von anderen abzusetzen. Im Gegensatz zu Spotify und Deezer verzichtet Apple auf eine werbefinanzierte Gratis-Variante, die wohl Musikern besonders wenig Umsatz in die Kasse spült. Verzichten muss man bei Apple auch auf einen Stream in CD-Qualität, wie in Qobuz und Tidal anbieten. Allerdings zahlt man für die höhere Qualität bei diesen auch glatt das Doppelte vom üblichen Premium-Streaming-Preis. Der schlägt bei Apple wie bei allen anderen auch mit knapp 10 Euro monatlich zu Buche. Eine Besonderheit von Apple Music ist die mit drei Monaten besonders lange kostenlose Testphase. Andere Anbieter gewähren in der Regel lediglich einen Monat. Ebenfalls eine Besonderheit ist die Familien-Flatrate, bei der bis zu sechs Familienmitglieder teilnehmen können. Sie kostet lediglich 15 Euro. Andere Dienste wie Spotify erheben einen Aufschlag von 5 Euro pro zusätzlichem Teilnehmer.
Apple Music: The free lunch
Apple Music besteht im Prinzip aus mehreren Teilen. Einige stehen auch ohne kostenpflichtige Mitgliedschaft zur Verfügung, man benötigt lediglich eine Apple-ID. Die erhält man beispielsweise dadurch, dass man sich bei iTunes kostenlos registriert. Zahlungsdaten muss man bei diesem Schritt noch nicht angeben.
Danach kann man der Beats 1 Radiostation lauschen – entweder in der iOS-App oder in iTunes auf Mac- oder Windows-PC. Der Sender überträgt sein Programm live rund um die Uhr und funktioniert recht gut, auch wenn es in der Nacht einen halbstündigen Ausfall gab. Zur Einstimmung vor dem Start um 18 Uhr am Dienstag gab es Ambient-Musik von Brian Eno, bevor es richtig los ging mit Spring King und Beck. Das möchtegern-coole Gequatsche mitten in der Musik muss allerdings nicht sein. Andere Radio-DJs bei B1 sind da zurückhaltender. Beats 1 wird bei uns unterschiedlich beurteilt. Ich mag es und halte es für einen guten Kompromiss aus Mainstream und ziemlich guter Mucke. Etwas zielgerichteter geht es bei Apples Music Radio Stations zu, bei denen sich das Genre genauer eingrenzen lässt. Als Nicht-Mitglied darf man „nur“ sechs Stücke überspringen, Apple-Music-Mitglieder dürfen unbegrenzt weiterskippen. Nicht-Mitglieder haben im Augenblick allerdings noch keinen Zugriff auf die anderen Radiostationen.
Letztlich darf man dem Social-Media-Dienst für Musiker Connect folgen, allerdings ohne große Interaktion. Die bleibt ausschließlich Mitgliedern vorbehalten. Apple gleicht in der Voreinstellung die vorhandene Musikbibliothek mit auf Apple Music vertretenen Künstlern ab, denen man automatisch folgt. Das ist wohl recht praktisch, wenn man keine allzu umfangreiche Bibliothek besitzt. Ansonsten wird das schnell unübersichtlich, zudem lässt sich kein Ordnungsprinzip erkennen. Man kann Musikern auch wieder entfolgen. Sinnvoller ist es, das automatische Folgen zu deaktivieren und die gewünschten Musiker selbst hinzuzufügen. Über Erfolg, Sinn oder Unsinn von Connect lässt sich trefflich streiten. Man erinnert sich unwillkürlich an Apples gescheitertes Ping oder MySpace.
Einstieg: iOS 8.4 und iTunes 12.2
Für die Mitgliedschaft bei Apple Music, auch für die Probezeit, benötigt man neben der Apple-ID die Hinterlegung einer gültigen Kredikartennummer von Visa, Master Card oder Amex. Fast alle Mitbewerber akzeptieren hingegen zusätzlich das ziemlich weit verbreitete PayPal. [Update:] Eine Zahlungsmöglichkeit hält Apple für Kreditkartenverweigerer allerdings über iTunes-Guthaben bereit. Besonders attraktiv ist daher die Möglichkeit, über eine rabattierte iTunes-Gutscheinkonto das Konto aufzuladen. Pferdefuß: Selbst das kostenlose Probeabo setzt ausreichend Guthaben voraus und das Familienkonto ist nicht möglich.
Weiterhin benötigt man das gerade veröffentlichte iOS 8.4 mit der neuen Musik-App für iPhone, iPod touch oder iPad, für PC sowie Mac das einige Stunden später nachgeschobene iTunes 12.2. Eine Version von Apple Music für Android ist angekündigt und soll im Herbst erhältlich sein – dieser Schritt ist ein echtes Novum für Apple. Im Browser lässt sich Apples Dienst nicht betreiben: Ein je nach Geschmack kleiner oder größer Nachteil gegenüber vielen Streaming-Mitbewerbern wie Tidal, Deezer oder Play Music.
All inclusive: iTunes Match
Durch eine Mitgliedschaft bei Apple Music erhält man die Funktionalität von iTunes Match obendrauf. Der Dienst ist weiterhin auch ohne Apple Music für 25 Euro im Jahr separat erhältlich. iTunes Match scannt die eigene iTunes-Musikbibliothek und lädt alle Stücke in die Wolke, die im iTunes Store nicht erhältlich sind. Das ermöglicht Anwendern, die gesamte Musikbibliothek aus der Cloud zu streamen. Zudem lassen sich Lieder, die im iTunes Store vorhanden sind, als AAC-Plus-Datei herunterladen und verwenden. Besonders praktisch ist das beispielsweise für Leute, die damals viele DRM-geschützte Titel gekauft haben. Sie erhalten eine DRM-freie Version in besserer Qualität. Aus welcher Quelle die gematchte Datei stammt, ist iTunes Match aber gleichgültig. Die Anzahl der Titel ist derzeit noch auf 25.000 beschränkt, im Herbst will Apple die Grenze auf 100.000 Titel erhöhen. [Update 2] Wie jetzt bekannt wurde, unterscheidet sich das Matching bei Apple Music von iTunes Match in einem entscheidenden Punkt: Die heruntergeladenen Titel bei Apple Music sind DRM-geschützt und nicht mehr abspielbar, sobald das Abo bei Apple Music endet. Um die Match-Funktion bei Apple Music zu aktivieren, die man auch für das Offline-Speichern von Songs benötigt, greift man auf die iCloud Music Library zu. Diese muss man in iTunes aktivieren. Allerdings mehren sich Anwender-Berichte, dass die iTunes-Bibliothek korrumpiert werden kann, was sogar zum Verlust von Songs führen soll.
Herzen und Terzen: Der Streaming Service
Apple streamt Musikdaten in einer Qualität von 256 kbps im AAC-Format. Sie unterscheidet sich also nicht von in iTunes erworbenen Songs. AAC ist dem Vorgänger MP3 bei der Soundqualität leicht überlegen, was die geringere Bitrate kompensiert: Andere Anbieter streamen mit bis zu 320 kbps, wobei neben Apple lediglich Qobuz eine gleichbleibende Bitrate garantiert. Im Test funktionierten die Streams trotz des großen ersten Ansturms einwandfrei.
In „Meine Musik“ werden Apples Streaming-Bibliothek und die vorhandene iTunes-Bibliothek zusammengeführt. Hier muss man bei anderen Diensten oft Abstriche machen, aber zumindest Deezer und Google Play Music bieten ebenfalls die Option, die iTunes-Bibliothek mitsamt der Playlists zu integrieren. Bei Play Music klappt das ziemlich gut, kann aber je nach Umfang der Bibliothek und Datenrate eine halbe Ewigkeit dauern, bis die Titel hochgeladen sind und damit als Stream zur Verfügung stehen. DRM-behaftete Musik sowie Titel, die eine bestimmte Dateigröße überschreiten, bleiben außen vor. Positiver Nebeneffekt des Uploads: Google Play erlaubt es, die Titel auch wieder in einem Rutsch herunterzuladen, womit man immerhin ein Backup der Daten hat.
Der Vorteil der Streaming-Services, die riesige Musikbibliothek, ist allerdings auch ein Problem: Welche der 30 Millionen Titel will man eigentlich hören? Apple wirbt mit handverlesenen Playlists. Die gibt es allerdings auch bei anderen Anbietern in ansprechender Qualität. Etwas verwirrend ist die Sektion „New“, die ebenfalls Playlisten anbietet, aber auch Videos, Neuerscheinungen und vieles mehr.
Lost in Music
Die Suche ist ein wichtiger Bestandteil der Streaming-Dienste. Hier unterscheidet sich Apple unwesentlich von den Mitbewerbern. Lobenswert: Wie bei Spotify wird bei Alben das Veröffentlichungsjahr angegeben. Das ist nicht bei allen Streaming-Diensten so. Die Auswahl „ähnlicher Künstler“ überzeugt.
Wer sich bei Apple Music neu anmeldet, wird nach Musik-Vorlieben gefragt, was ein bisschen an Netflix erinnert und dafür sorgen soll, individualisierte Musikvorschläge zu generieren. Bei einem ersten Test klappte das erstaunlich gut und die Trefferquote an Musik, die man zwar gerne hört, aber nicht in der Bibliothek hat, ist hoch.
Apple Music: Das fehlt
Apple Music legt einen guten Start hin, der nur wenige Wünsche übrig lässt. An erster Stelle steht der weitere Ausbau der Musikbibliothek, das betrifft aber alle Streaming-Dienste. Die gute Nachricht: Durch Apples Einstieg in den Streaming-Markt kommt Bewegung in die Sache und beispielsweise konnten sich die Altrocker von AC/DC dazu durchringen, ihre Alben bei Apple Music, Spotify und Rdio einzubringen. Was ich vermisse sind Booklets, wie sie der Streaming-Anbieter Qobuz bei einigen neueren Alben im Angebot hat. Lyrics stehen wohl auf Apples To-Do-Liste, wie Walt Mossberg berichtet.
Fazit
Musik-Streaming-Dienste sind sicherlich nicht für jeden Anwender eine Option. Wer viel Musik hört, neue Sachen entdecken will und sich intensiver mit Musik beschäftigt, ohne gleich alles kaufen zu müssen, findet in den Streaming-Diensten eine prima Möglichkeit. Apple Music ist dabei kein Überflieger, aber auch nicht nur ein weiterer Dienst. Er gibt dem ganzen Segment einen Push und könnte Streaming in die Masse und auch die bisher zögernden Musiker in die Musik-Flatrates bringen. Das kann einem als Kunden aber egal sein, da zählt, was man für sein Geld bekommt. Und das ist bei Apple Music ein bisschen mehr als bei den anderen, inklusive Spotify und Co. Unschlagbar ist das Familienangebot für 15 Euro, bei der bis zu sechs Mitglieder streamen dürfen. Für iTunes-Anwender ist die nahtlose Integration von iTunes ein wichtiges Argument, die bieten aber auch Google Play Music und Deezer. Die Funktionen von iTunes Match bietet allerdings keiner der anderen Mitbewerber. Ob man die anderen Goodies von Apples Angebot wie Connect, die guten Playlisten oder das Radio nutzt und schätzt, ist zu sehr von persönlichen Präferenzen abhängig. Letzteres klappt ja auch ohne kostenpflichtiges Abo.