Ich weiß nicht mehr genau wann oder warum, aber irgendwann regte sich der Gedanke: So eine Kamera um zu gucken, was im Garten oder vor dem Haus vor sich geht, wäre doch eigentlich ganz nett. Am besten ohne, dass es ein Vermögen kostet und ohne dass Abo und/oder Cloud nötig sind. Nach einigem Suchen und Lesen fiel dann die Entscheidung auf Reolink. Die Kameras sind günstig und sollen trotzdem ein gutes bis sehr gutes Bild liefern – und sie setzen kein Abo voraus.
Das gefällt uns
- Sehr hohe Bildqualität
- Offene Standards
- Kein Abo nötig
- PoE
- Günstig
Das gefällt uns nicht
- Anschlusskabel dickes Kabelbündel
- Zubehör nur mittelmäßig
- Keine Diebstahlsicherung der Kamera
- Wiedergabe nur von SD-Karte möglich
Das konkrete Modell in meinem Test ist die Reolink RLC-810A. Diese bietet 4K-Auflösung (2160p), arbeitet direkt via Power over Ethernet und braucht damit nur ein Kabel. Als Speichermöglichkeit ist ein Micro-SD-Slot vorhanden, dazu später mehr. Außerdem ist eine Personen- und Fahrzeugerkennung integriert.
Bevor es an den langen Text geht, hier noch die Kurzfassung des Tests in Videoform:
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Direkt beim Auspacken die erste Überraschung: Die Kamera ist kleiner als gedacht. Dazu kommt sie mit einigem an Zubehör. Eine Abdeckung, um die Kabelverbindung vor Feuchtigkeit zu schützen ist enthalten, genauso wie Schrauben und Dübel zur Befestigung. Und natürlich ist noch ein LAN-Kabel dabei. Beim Zettelkram sind dann sogar noch eine einfache Bohrschablone und ein Haufen Aufkleber dabei.
Die Verarbeitung ist ansonsten in Ordnung. Das Gehäuse besteht aus Metall, hier und da etwas Kunststoff und Glas. Am Metallgehäuse, insbesondere dem Übergang zwischen beiden Hälften, sieht man hier und da ein paar Ungenauigkeiten. Die beeinträchtigen die Funktion aber nicht und am Ende sieht man es eh nicht mehr, wenn die Kamera einmal hängt.
Installation
Beim ersten Testen und Ausprobieren fallen dann aber auch direkt ein paar Schwachpunkte auf. Zum einen sind die Schrauben nicht gegen Fremdzugriff gesichert, es kann also jeder mit einem Schraubendreher die Kamera einfach abmontieren. Am LAN-Anschluss hängen zudem noch ein Reset-Knopf und ein 12V-Stromanschluss, für die keine Wetterschutzabdeckungen dabei sind. Außerdem ist der Reset-Knopf so auch für jeden zugänglich. Da das Kabelbündel dadurch auch sehr dick wird, braucht man schon ein ziemlich großes Loch, wenn man alle Anschlüsse nach innen legen will.
Ein Problem, das mein geplantes Setup dann noch hat: Die beiliegende Wetterschutzhülle für das Ethernet-Kabel ist zu dünn, um es über Feldstecker zu schieben. Wer direkt ein Verlegekabel nutzen will um die Kamera anzuschließen, und keine Kabel Crimpen will, hat also ein Problem. Gelöst habe ich das mit einer Feuchtraum-Aufputzdose. Das größtmögliche Loch der Dichtung passt exakt auf den Ethernet-Port der Kamera. Da die Kameras hier auch unter einem Dachüberstand hängen sind sie bereits recht gut gegen Wind und Regen geschützt. Wer das nicht hat, findet im Baumarkt sicher auch geeignete wettergeschützte Dosen mit passenden Öffnungen. Wer nicht basteln will, kann auch zur Reolink Junction Box B10 greifen, die direkt auf die RLC-810A angepasst ist und die Anschlüsse nach IP68-Standard für Feuchtigkeit und Staub schützt.
Reolink RLC-801A bei NBB
Die Installation ist dann denkbar einfach, sofern alle Vorbedingungen erfüllt sind: Am Installationsort muss natürlich ein Ethernet-Kabel hängen, das am besten direkt via PoE auch die Stromversorgung übernimmt. Entweder habt ihr also einen entsprechenden Switch, einen Reolink PoE-DVR oder wenn beides nicht der Fall ist einen PoE-Injector. Die gibt es schon für wenige Euro zu kaufen. Wichtig dabei ist, dass der IEEE 802.3af Standard unterstützt wird. An meinem Mikrotik PoE-Switch funktionieren die Kameras jedenfalls auf Anhieb fehlerfrei.
PoE-Injector bei NBB
Danach geht es ganz schnell: Die Kamera wird mit 3 Schrauben befestigt, Kabel dran, fertig. Wer per SD-Karte aufzeichnen will, sollte die SD-Karte am besten vorher noch einsetzen. Durch die geschraubte Abdeckung ist das Einsetzen etwas fummelig, oft muss man da aber hoffentlich nicht dran. Dann nur noch die Kamera ausrichten. Dazu wird bei der Reolink RLC810-A einfach die Schraube am Fuß gelockert, die Kamera in die gewünschte Richtung gedreht und die Schraube wieder festgezogen.
Einrichtung
Ab hier erfolgt die Einrichtung dann einfach per App. Befindet man sich im gleichen Netzwerk wie die Kamera, erkennt die App diese neue Kamera auch automatisch und kann sie direkt einrichten. Viele Optionen gibt es nicht, die Einrichtung ist wirklich sehr einfach gehalten.
Im Anschluss kann die Kamera dann auch direkt live in der App angesehen werden. Was mir allerdings fehlt: Eine Option, den Fernzugriff zu deaktivieren. Natürlich ist es praktisch, die Kamera jederzeit von überall einsehen zu können, dass dies aber generell nicht deaktiviert werden kann geht dann aber doch etwas zu weit.
Langfristig werden die Kameras in meinem Fall aber „umziehen“ und statt von der App direkt über einen NVR (Network Video Recorder) verwaltet, der dann nur via VPN erreichbar ist. Bei Interesse kann ich hierzu dann auch einen Beitrag nachreichen.
Was mir noch richtig gut gefallen hat ist die Latenz. Zwischen Bewegung vor der Kamera und Anzeige auf dem Smartphone oder DVR vergeht in der Regel weniger als eine Sekunde, auch bei voller 4K Auflösung. Die Kabelverbindung macht es möglich, WLAN-Kameras sind hier in der Regel langsamer und auch immer von der Signalstärke abhängig.
Speichermöglichkeiten
Wichtig ist jetzt natürlich, wo die Aufnahmen gespeichert werden können. Hier gibt es mehrere Optionen. Die einfachste, aber nicht unbedingt sicherste Option ist eine Micro-SD-Karte direkt in der Kamera. Aber: ist die Kamera weg, sind es auch die Aufnahmen davon, wer sie entwendet hat. Eine weitere, für viele kostenneutrale, Lösung ist die Aufzeichnung auf einen FTP-Server. Wer ein halbwegs aktuelles NAS nutzt, kann damit in aller Regel mit wenigen Klicks einen FTP-Server bereitstellen. Das sichert die Aufnahmen schon mal vor einfachem Diebstahl.
Die dritte Möglichkeit ist ein NVR bzw. DVR. Reolink bietet eigene Lösungen hierfür an, es gibt aber auch Open-Source oder Kauflösungen dafür. Einige NAS-Modelle bieten auch eine integrierte Lösung an, die die Kameras dann direkt auf dem NAS verwalten, wie in meinem Fall ein QNAP TS-253Be (Unser Test).
In einigen Regionen bietet Reolink auch eine eigene Cloud Plattform an, jedoch noch nicht in Deutschland. Auch ist die RL810-A nicht kompatibel mit der Cloud. Die Preise sind ansonsten aber angenehm: 3,49 USD pro Monat für bis zu 5 Kameras, 30 Tage Speicherung und 30GB Speicher sind im Vergleich mit der Konkurrenz absolut in Ordnung. Hinsichtlich der DSGVO sehe ich den Dienst aber vorerst nicht nach Deutschland kommen.
Reolink RLC-801A bei NBB
Die App
Natürlich gehört eine App dazu, wie auch schon erwähnt. In dieser werden die Kameras verwaltet und die verschiedenen Speicheroptionen festgelegt. Die App an sich ist übersichtlich, hier und da gibt es aber noch ein paar Übersetzungsfehler und einige Optionen sind schwer bzw. nicht intuitiv zu finden.
Die Startseite bietet dann direkt eine Übersicht über die verbundenen Kameras und ein einfacher Druck darauf startet auch direkt die Live-Wiedergabe. Dort können dann auch die Aufzeichnungen der Kamera abgerufen oder Aufnahmen manuell gestartet werden. Auch Fotos lassen sich erstellen und diese manuellen Aufnahmen landen dann direkt auf dem Smartphone.
Über die App ist auch eine Integration in Alexa und Google Assistant möglich. Ein einfaches „Alexa/OK Google, zeig mir Kamera X auf Y“ zeigt dann direkt den Livefeed der gewünschten Kamera an. Warum diese Funktion unter „Cloud“ zu finden ist, erschließt sich mir aber nicht ganz.
Unter #Reolinkcaptures ist dann noch eine Art „Social Network“ integriert. Nutzer können hier ihre Lieblingsaufnahmen hochladen und teilen. Natürlich kann auch kommentiert werden. Die Ladezeiten sind allerdings recht lang und so wirklich interessant/lustig war der Inhalt jetzt auch nicht. Aber die Idee zählt, oder?
Die Reolink RLC-810A kann zudem wie eingangs erwähnt auch unterscheiden, ob sich im Bild ein Auto, Mensch oder nichts von beidem bewegt. Soll also ausgeschlossen werden, dass die Bewegungserkennung auf Tiere oder sich im Wind bewegende Bäume/Sträucher anschlägt, ein spannendes Feature. Noch spannender dadurch, dass diese Erkennung lokal auf der Kamera passiert und nicht in der Cloud. Die Einstellung ist allerdings etwas versteckt in mehreren Untermenüs und daher muss man schon etwas suchen oder das (online) Handbuch zu Rate ziehen. Dass die Funktion nämlich unter „Filmaufnahme“ und nicht „Bewegungsalarm“ zu finden ist, ist schon etwas komisch.
Im Test hat diese Erkennung auch nicht immer fehlerfrei funktioniert. Teilweise wurde Alarm und damit eine Aufzeichnung ausgelöst, wenn ich vor die Kamera trat, auch wenn die Erkennung auf Autos beschränkt war. Ich weiß, dass ich zugenommen habe, aber so schlimm ist es nun auch nicht, dass man mich für ein Auto hält… Aber auch kleinste Ereignisse wurden registriert. Fliegen, die nah vor die Linse flogen zum Beispiel. Etwas gruselig, wenn plötzlich die Kamera im Keller anschlägt, obwohl man allein zuhause ist. Und nicht im Keller.
Auch im Garten schlug die Kamera anfangs häufig an, ohne dass eine Bewegung erkennbar war. Die Nachbarskatze dagegen hat sie nicht aufgezeichnet. Ich denke hier kann man mit entsprechend Feintuning noch die Fehler reduzieren, das braucht aber wie so oft Zeit, um die richtigen Einstellungen zu finden. Größere Objekte wie Menschen wurden jedenfalls immer erkannt.
Reolink RLC-801A bei NBB
Schön wäre abschließend noch die Möglichkeit, die Kameras in das SmartHome und dessen Regeln zu integrieren. So könnte man die Bewegungserkennung ohne Zeitplan aktivieren und deaktivieren, wenn man das Haus verlässt oder nach Hause kommt. Vielleicht schafft man hier ja noch eine Schnittstelle. Mit ein wenig Basteln konnte ich die Kameras am Ende aber zumindest in mein Home Assistant-Dashboard integrieren.
Bildqualität
Bei einem Preis unter 100 Euro und dem Featureset bis hier hin muss man ja sicher bei der Bildqualität Abstriche machen, oder? 4K-Kameras mit 8MP-Sensoren sind in der Regel auch deutlich teurer.
Die Bildqualität ist aber, alles in allem, sehr gut vor allem am Tag. Das Bild ist klar, scharf, digital lässt sich problemlos hineinzoomen, um auch feinere Details zu erkennen. Ein optischer Zoom wäre noch besser, ist in dieser Preisklasse aber einfach nicht drin. Der Nachfolger, die RLC-811A bietet dann 5x optischen Zoom, ist in Deutschland aber noch nicht verfügbar. Einen besseren Eindruck der Bildqualität bekommt ihr in meinem Video zum Review.
Nachts sorgen die integrierten Infrarot-LED für bessere Sicht. Laut Reolink soll die Reichweite bis zu 30m betragen. Ganz so groß ist der Garten hier nicht, daher kann ich das nicht beurteilen 😉. Die geplante Fläche konnte aber problemlos abgedeckt werden und der ganze Bereich ist auch nachts gut erkenntlich.
Die Bildschärfe und Details leiden natürlich bei aktivierter Nachtsicht, reichen aber immer noch aus, um Personen oder Tiere zu erkennen – besonders praktisch wenn man endlich wissen will, wer oder was da ständig nachts Löcher in den Garten gräbt. Selbst bei 2-facher Vergrößerung können Gesichter in der Regel noch erkannt werden:
Hier gibt es für mich nichts zu bemängeln, gerade angesichts des Preises.
Disclaimer
Für die Nutzung von Kameras und insbesondere bei Aufzeichnung gelten einige Pflichten und Auflagen. Vereinfacht: Es darf kein öffentliches Straßenland oder fremdes Eigentum überwacht werden. Solltet ihr mit der Anschaffung einer Kamera überlegen, lest euch daher vorab die genauen lokalen und regionalen Vorgaben für den Einsatz durch, um böse Überraschungen zu vermeiden.
Fazit
Würde ich die Reolink RLC-810A abschließend empfehlen? Auf jeden Fall. Es sind vergleichsweise „einfache“ Kameras, die aber die wichtigsten Features bieten und vor allem günstig sind für das Featureset was sie bieten. Natürlich haben sie einige Schwachpunkte, über die man sich im Klaren sein sollte. Insgesamt überwiegen für mich aber die Vorteile und vor allem die Offenheit der Kameras. Das macht es möglich, die Kameras so einzusetzen wie man es möchte – auch außerhalb der Reolink App. Es kommen also Fans von „Ease of use“ gleichermaßen auf ihre Kosten, wie Bastler die ein eigenes Homelab samt Smarthome betreiben und die Kameras dort einbinden wollen.