Test: Acer Jade Primo – der Bürohengst

Test: Acer Jade Primo – der Bürohengst

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Nach der Ankündigung, Microsoft würde sich mit Windows 10 Mobile zukünftig eher auf den Business-Bereich fokussieren denn auf Endkunden-Produkte, war das für viele das Ende von Microsofts mobilem Betriebssystem. Dabei hat es bei allen Startschwierigkeiten weiterhin viel Potenzial und auch einige Alleinstellungsmerkmale gegenüber allen anderen Systemen. Das Acer Liquid Jade Primo setzt voll auf diese Alleinstellungsmerkmale wie Continuum und die Business-Features von Windows 10 Mobile.

Das Acer Liquid Jade Primo hat eines mit Windows 10 Mobile gemeinsam: Der Start war etwas holprig. Angekündigt wurde es bereits zur IFA 2015, wirklich erhältlich ist es erst seit Kurzem und wurde kurz darauf von diversen Negativmeldungen seitens Microsoft überrascht – nicht zuletzt die eingangs erwähnte Meldung, sich mehr auf den Business-Bereich zu fokussieren, was viele Medien als das Ende von Windows 10 Mobile betrachteten.

Nichtsdestotrotz muss das Jade Primo zeigen was es kann, denn es richtet sich vor allem an jene Business-User, die es nicht nur als reines Smartphone nutzen (sollen), sondern auch als mobilen PC mittels Continuum. Dazu liegt direkt eine entsprechende Dockingstation bei, sofern man nicht extra das Jade Primo ohne Dock bestellt.

Ansonsten ist der Lieferumfang recht übersichtlich. Neben dem Smartphone selbst liegen ein Netzadapter, ein USB-A auf USB C Kabel, Kopfhörer und diverses Zettelwerk bei. Der Display Dock liegen ein Netzteil und ein Satz Klebefüße bei, mit denen man die Dock am Tisch fixieren kann, wenn man das möchte. Ansonsten ist auch nur noch das übliche Zettelwerk enthalten.

Abschließend dürfen natürlich die technischen Daten nicht fehlen:

Acer Liquid Jade Primo:

  • 5,5 Zoll AMOLED Display, FullHD 1080×1920 Pixel
  • Qualcomm Snapdragon 808, 2 x 2GHz + 4 x 1,4GHz
  • 3GB Arbeitsspeicher
  • 32GB Speicher, erweiterbar um bis zu 2TB
  • 21 Megapixel Kamera, 4K Videoaufnahme (3840 x 2160px @ 30 FPS), Dual-LED-Blitz
  • 8 Megapixel Frontkamera
  • USB 3.1 Typ C Anschluss
  • 2870mAh Akkukapazität, bis zu 330 Stunden Standby, nicht wechselbar

Acer Continuum Dock:

  • USB 3.1 Typ C Connector
  • 2x USB 2.0, 1x USB 3.0, 1x HDMI, Stromanschluss

Die Technik ist also auf dem Stand der Zeit, die Dual-SIM-Funktion kann außerdem bares Geld sparen – oder berufliches von privatem trennen.

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Verarbeitung und Haptik

Die Verarbeitung ist soweit gut. Der verwendete Kunststoff auf der Rückseite hat eine Alu-Optik, was es etwas hochwertiger erscheinen lässt, dafür sitzt die Rückseite nicht immer zu 100% richtig und es entstehen ungleichmäßige Spaltmaße. Hier und da knarzt es auch ein wenig, wenn man mal zudrückt. Haptisch ist es in großem und ganzen ebenfalls gut. Es liegt trotz 5,5“ Display gut in der Hand und auch die Einhandbedienungen klappt bei mir noch. Nachteilig ist allerdings die Positionierung der Lautstärkewippe und des Power-Buttons. Die Tasten sitzen insgesamt viel zu weit unten, um den Power Button zu treffen muss man den Daumen schon etwas verkrampfen oder gar umgreifen. Dort wo die Tasten üblicherweise sitzen, sind die SIM-Karten-Slots positioniert. Der Druckpunkt der Tasten ist etwas straff, das gibt sich nach längerer Nutzung aber sicher noch etwas.

Der USB-C Anschluss sitzt nicht mittig auf der Unterseite, auch das ist ungewohnt, aber man gewöhnt sich schnell daran. Der Klinkenanschluss sitzt dafür auf der Oberseite. Unpraktisch wenn man das Jade Primo auf den Tisch legt: Die Kamera steht aus dem Gehäuse heraus, sodass es nicht plan aufliegt. Auch neigt die Linse dadurch dazu, dass sie Kratzeranfälliger ist – während des Testzeitraums hatte ich damit allerdings keine Probleme. Über die Optik des Jade Primo an sich lässt sich vortrefflich streiten. Ich finde es weder schön, noch hässlich.

Die Dock ansonsten ist wenig überraschend halt eine Docking Station und tut was sie soll. Das Jade Primo einstecken ist kein Problem, nach ein Paar Durchgängen hat man dann auch den Dreh raus und schafft es blind auf Anhieb. Es rastet auch spürbar ein, was sich beim Herausnehmen bestätigt: Einhändig lässt es sich nicht aus der Display Dock entnehmen, sofern die Dock nicht angeklebt ist.

Anschlüsse sind genug vorhanden: Neben dem Stromanschluss gibt es einen HDMI Anschluss, einen USB 3.0 Anschluss und zwei USB 2.0 Anschlüsse. Genug also für Maus, Tastatur, USB-Stick und Monitor. Die Anschlüsse sitzen allerdings seitlich am Gehäuse – bei Maus, Tastatur und USB-Stick nicht wild, aber zumindest HDMI und den Stromanschluss hätte man nach hinten legen können. Ansonsten gibt’s nicht viel zu sehen oder zu tun.

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Display

Das nächste was ins Auge fällt ist das Display. Acer wirbt bei dem AMOLED Display mit einer 100% Abdeckung des NTSC Farbraums. Die Farbdarstellung ist auch sehr gut, wobei sie AMOLED-Typisch übersättigt ist. Schwarz ist dafür wirklich schwarz und der Kontrast sehr hoch. Die Blickwinkel in alle Richtungen sind ebenfalls hervorragend. Vertikal dunkelt es nur leicht ab, horizontal dafür etwas mehr, aber auch erst bei sehr steilen Winkeln. Touch-Eingaben erkennt es fehlerfrei und ohne Verzögerung, auch mit (dünnen) Handschuhen kann es bedient werden, auch wenn es hier nicht alle Eingaben korrekt registriert.

Scrollen bei längeren Texten resultiert in leichtem ruckeln und verschwimmendes Schriftbild. Ob das an einer zu geringen Refresh-Rate des Displays oder Windows 10 Mobile liegt, ist aber schwer zu beurteilen.

Ansonsten gibt es am Display aber nichts auszusetzen. Kratzer konnte ich nach dem kurzen Zeitraum keine finden, auch zieht es nicht ungewöhnlich stark Fingerabdrücke an.

Performance

Wie üblich gilt hier: Keine großen Benchmarks, sondern Eindrücke der Alltagsnutzung. Rein vom Blick auf das Datenblatt sollte man davon ausgehen, dass alles optimal läuft, doch so ganz kommt das nicht hin. Das Jade Primo hat das gleiche Problem, wie auch schon das Lumia 650 in meinem Test: Software und Hardware arbeiten noch nicht optimal zusammen. Dadurch kommt es zu kurzen Denkpausen, minimalen Rucklern und hier und da stockt es mal kurz. Ein Update hierzu gibt es bislang leider nicht.

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Neben den kleineren Rucklern gibt es aber sonst keine Probleme. Auch Anspruchsvolle Spiele und Anwendungen laufen problemlos und ohne dass das Smartphone zu heiß wird. Apps starten schnell, auch mit vielen Apps die im Hintergrund liegen ändert sich die Gesamtperformance nicht, obwohl Windows 10 Mobile sie im RAM bereithält. Hier bemerkt man den großen Arbeitsspeicher.

Insgesamt gibt es bis auf die kleineren Ruckler und Verzögerungen nichts an der Performance auszusetzen. Auch nach mehreren Tagen ohne Reboot nicht.

Software

Windows 10 Mobile hatte ich mir bereits auf dem Lumia 650 und auch dem 950XL genauer angesehen. Im Gegensatz zu Android ist Windows 10 auf den Geräten identisch, lediglich die vorinstallierten App können voneinander abweichen. Allerdings wirkt es wie unter dem Punkt der Perfomance beschrieben noch etwas langsam, nicht optimiert – trotz der sehr potenten Hardware. Das Handling als solches unterscheidet sich aber nicht von den Lumias direkt aus Microsofts Hand. Die Funktionen und Features sind die gleichen, zumindest gemessen mit Microsofts Flaggschiffen.

Da wären natürlich Features wie Cortana, Continuum, die Microsoft Services wie OneDrive, OneNote, Office, und so weiter. Mittlerweile ist das Microsoft Ökosystem ja recht groß geworden. Für Acer eines der Kern-Features ist Continuum, daher schaue ich mir dieses auch zuerst an – nicht umsonst ist im „business-Pack“ auch direkt eine Display-Dock enthalten.

Continuum dient vor allem dazu, Apps vom Smartphone auf den großen Bildschirm zu bringen und sie dort wie einen „echten“ Windows 10 Desktop zu nutzen. Das Ganze aber vom Smartphone aus mittels einer Dock. Die jeweilige App muss den Desktop-Modus ebenfalls unterstützen. Gesteuert werden kann entweder über das Smartphone selbst als Trackpad und Tastatur, oder natürlich via USB oder Bluetooth Tastatur und Maus.

Beim ersten Start gibt es eine kurze Einweisung in die Nutzung, danach kann auch direkt losgelegt werden. Wer bereits Windows 10 nutzt, findet direkt eine vertraute Umgebung vor. Startmenü, Notification-Center und die Taskleiste sind an Ihren gewohnten Positionen. Nur Cortana versteckt sich hinter einem kleinen Button anstatt der großen Suchleiste und es gibt zusätzlich nebem dem Startbutton noch einen Zurück-Button. Die vom Smartphone bekannte Statusleiste am oberen Rand ist ebenfalls vorhanden.

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Die Übertragung vom Smartphone auf den Monitor hat keine sichtbare Verzögerung, lediglich beim ersten Start einiger Apps kann es anfangs etwas länger dauern, bis die App gestartet hat oder die Inhalte vollständig geladen sind. Ist die App erstmal geladen, läuft es aber flüssig. Auch mehrere Apps, einige Tabs in Edge und Musik via Groove Music parallel bringen es nicht aus der Ruhe.

Häufig anzutreffen: Ausgegraute, nicht mit Continuum kompatible Apps

Häufig anzutreffen: Ausgegraute, nicht mit Continuum kompatible Apps

Im Startmenü sieht man dann auch recht schnell, welche App mit Continuum funktioniert und welche nicht – ausgegraute Apps sind nicht kompatibel. Die meisten vorinstallierten Apps direkt von Microsoft sind logischerweise kompatibel, sei es nun die Office-Suite, One Note, Edge, Outlook, der Kalender oder auch der Store. Da hört es allerdings leider auch schon fast auf. Bei Stichproben beliebter Apps wie WhatsApp, Telegram, Twitter, Facebook, Evernote, MyTaxi, Netflix, Skype, Metrotube und einigen weiteren waren bis auf Twitter und Facebook alle Apps inkompatibel. Gerade bei Skype das zu Microsoft gehört und oft auch in Unternehmen eingesetzt werden, wundert es mich am meisten. Inkompatible Apps können dann nur auf dem Smartphone geöffnet werden, was dann natürlich recht unpraktisch ist. Es gibt aber auch schon eine Reihe kompatible Apps und Spiele, die meisten findet man einfach über den Suchbegriff „Continuum“ – eine eigene Kategorie wäre hier nicht verkehrt. Alle Spiele die ich via Continuum ausprobiert habe, liefen außerdem unglaublich schlecht. Die Grafik war lediglich Pixelbrei, oft ohne jegliche Textur, die Steuerung sehr träge und es ruckelte einfach immer sehr stark. Die Grafikfehler haben dagegen für den einen oder anderen Lacher gesorgt 😉

Arbeiten ist aber, sofern die benötigten Apps verfügbar sind, kein Problem. Wer primär auf den Browser, E-Mails und Office setzt wird kaum auf Probleme Stoßen. Die Apps liefen im Test problemlos, ganz im Gegensatz zu meinem ersten Versuch am Lumia 950XL, als Word und Co. regelmäßig abstürzten. Hinsichtlich der Stabilität hat sich also einiges getan. Die Arbeitsgeschwindigkeit passt auch, wie schon erwähnt kommt das Jade Primo auch mit vielen Parallelen Apps und Webseiten klar, ohne dass es anfängt zu haken. Was allerdings stört: Je nach Einstellung schaltet das Smartphone früher oder später das Display ab. Damit schaltet auch Continuum ab, um Energie zu sparen – und schließt auch alle Apps. Eventuell offene Tabs, geöffnete Dokumente, etc. sind dennoch nicht verloren: Startet man die App neu, ist der vorherige Status direkt wieder da. Allerdings muss man eben alle Apps neu starten, nachdem man sich einfach nur einen Kaffee geholt hat.

Auch nicht optimal ist, dass die Apps generell nur im Fullscreen-Modus laufen. Zwei Apps parallel im Blick behalten ist damit nur möglich, wenn man das Smartphone als Second-Screen nutzt.

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Apps sind immer im Fullscreen-Modus

Ein weiterer Nachteil an Continuum ist, dass immer die dazugehörige Dockingstation benötigt wird. Sei es die Microsoft Display Dock, oder eben die Acer Display Dock. Dazu natürlich nicht Netzteil, HDMI-Kabel, ggf. USB-Kabel, Tastatur und Maus nicht vergessen. Schon hat man einen recht großen Haufen an Kabeln und Zubehör das man benötigt. Der besser Ansatz sind – dank der Synchronisationsfeatures von Windows 10 und Office 365 – die Intel Compute-Sticks. Kleine HDMI-Sticks die als echter PC fungieren. Die meisten werden einfach per Micro-USB mit Strom versorgt, sodass das Smartphone-Netzteil ausreicht, das man eh immer dabei hat. Aber ich schweife ab.

Als PC-Ersatz wenn benötigt ist Continuum auf jeden Fall ein interessanter Ansatz, wenn die Entwicklung weiter vorangetrieben wird kann daraus eine sehr gute Alternative werden. Im Moment fehlt aber noch eine breitere App-Unterstützung.

Was neben Continuum und Cortana fehlt ist Windows Hello. Über Windows Hello lässt sich ein Smartphone oder auch Notebook über Biometrische Merkmale wie den Fingerabdruck oder die Augen entsperren. Beides unterstützt das Jade Primo mangels passender Hardware leider nicht.

Die Appsituation unter Windows 10 Mobile sollte sich durch einige Maßnahmen Microsofts deutlich bessern, bisher konnten diese Maßnahmen aber noch nicht so recht Fuß fassen. Mit Project Islandwood beispielsweise können iOS Apps leichter auf Windows 10 Mobile portiert werden. Dennoch hinkt Windows 10 iOS und Android noch deutlich hinterher. Zwar gibt es viele sehr gute Apps, doch vieles fehlt schlicht komplett oder wird nur stiefmütterlich behandelt. Insgesamt findet man aber nahezu alle nötigen Apps für den Alltag. Wobei genau das der Punkt ist: Man findet zwar alles nötige, aber kaum etwas darüber hinaus. In vielen Fällen bleibt dann nur die mobile Website.

Edge als Browser ist schnell und die unten liegende Adresszeile macht die Bedienung angenehm. Hier und da hat Edge aber auch noch Probleme mit der Darstellung von einzelnen Webseiten, ebenso wie manche Menüs nicht korrekt funktionierten – das gleiche Problem haben andere mobile Browser allerdings auch. Die Synchronisation mit dem Desktop und anderen Geräten lief gut, vergleichbar mit der Synchronisation von Chrome mit seinem Mobile Pendant.

Was mich positiv verwunderte war, dass die Outlook Mail App nicht die gleichen Probleme hatte, wie auf dem Lumia 950XL, 650 und 1520. Anders gesagt: Sie funktionierte sehr gut, inklusive Schnellaktionen, Suche und Synchronisierung, wo sie auf den anderen Geräten stets Probleme hatte.

Kamera

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Die 21 Megapixel Kamera liegt im guten oberen Mittelfeld. Die hohe Auflösung liefert viele Details, sie löst schnell aus und der Fokus ist schnell genug. Mit den High-End Kameras von Samsung, Huawei und Apple kann sie aber nicht mithalten.

Akkulaufzeit

Wie immer gilt: Die Angaben sind sehr subjektiv und können je nach Nutzung und Apps teils stark abweichen. In der Regel kommt man mit dem Jade Primo locker über den Tag und hat noch genug Reserven am Abend. Mit starker Nutzung bekommt man den 2870 mAh Akku aber auch schon zum späten Nachmittag leer.

Fazit

Das Acer Liquid Jade Primo ist ein solides Gerät, das primär unter kleineren Software-Macken leidet. Hier ist Microsoft aber weiter dabei, diese auszumerzen, muss die Updates meiner Meinung nach aber deutlich schneller verteilen. Lieber viele kleine, als wenige große.

Die Hardware leistet sich bis auf kleinere Patzer bei der Verarbeitung keine Schwächen, die Leistung überzeugt, wenn man von den Systembedingten kleineren Rucklern absieht. Anspruchsvolle Apps und Spiele laufen ohne zu murren und die Kamera liefert gute, wenn auch nicht überragende Bilder.

Insgesamt ist es nicht der große Wurf, den viele erwartet haben. Es wirkt einfach etwas langweilig, eintönig, erledigt dabei aber seine Arbeit ohne zu meckern.

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