Das Huawei P9 kostet fast doppelt so viel wie der kleine Bruder P9 Lite. Dafür gibt es mehr Power, eine umfangreichere Ausstattung und eine Doppelkamera von Leica, die Hoffnung auf DAS Foto-Smartphone macht. Wir haben uns angesehen, wie gut das P9 sich unter anderen High-End-Androiden schlägt und ob hinter dem Namen Leica auch das steckt, was er verspricht.
Flacher Unibody
Das Huawei P9 ist genauso schick wie sein Vorgänger P8. Das 7 mm flache Unibody-Gehäuse besteht aus grauem oder silberfarbenem Aluminium, das verwendete Material, die Haptik und Verarbeitung sind hervorragend. Da gibt es nichts zu beanstanden. Das Glas auf der Vorderseite ist zu den Rändern hin abgerundet, das 5,2 Zoll Display bis auf 2 mm an die Ränder herangezogen, sodass das P9 trotz des üppigen Displays mit 144 x 71 x 7 mm und 144 g recht kompakt ausfällt. Entsprechend gut lässt es sich auch mit kleinen Händen halten.
Die Bedienelemente sind, wie bei Huaweis Ober- und Mittelklasse mittlerweile üblich, sehr gut. Power-Button und Lautstärkewippe sitzen an der rechten Rahmenseite. Es wackelt nichts, der Druckpunkt ist deutlich spürbar und gibt ein gutes haptisches und akustisches Feedback. Tasten, wie man sie sich wünscht.
Auf der Rückseite befindet sich ein Fingerabdrucksensor, um das Smartphone zu entsperren oder Bezahlvorgänge per Fingerabdruck zu autorisieren. Nach einer kurzen Anlernphase funktioniert der Scanner problemlos, die Erkennungsleistung ist auch mit feuchten Fingern hoch. Geschwindigkeitsmäßig kann er nicht ganz mit denen anderer Oberklassemodelle wie beispielsweise Samsung Galaxy S7 oder
Spieglein, Spieglein in der Hand …
Huawei setzt im P9 ein 5,2 Zoll großes IPS-Display mit einer Full-HD-Auflösung von 1920 x 1080 Bildpunkten ein. Die Pixeldichte von 426 ppi ist so hoch, dass Inhalte sehr scharf und aus einem durchschnittlichen Betrachtungsabstand von etwa 40 cm ohne sichtbare Pixel abgebildet werden. In anderen Oberklasse-Modellen kommen häufig QHD-Displays zum Einsatz, die über eine Auflösung von 2560 x 1440 Bildpunkte verfügen und im direkten Vergleich sichtbar mehr Bildschärfe bieten. Die höhere Auflösung stellt dann aber auch höhere Ansprüche an die Grafik und Energieversorgung. In der Praxis ist man mit der Full-HD-Auflösung gut bedient.
Auffällig beim Display des P9 ist der leichte Blaustich in der Standardeinstellung, den man über die Korrektur der Farbtemperatur in den Displayeinstellungen ausgleichen kann. Die maximale Helligkeit ist mit 490 cd/m2 hoch. Trotzdem können Spiegelungen kaum überstrahlt werden. Verantwortlich dafür ist das extrem stark reflektierende Displayglas. Die etwas übersaturierte Farbdarstellung sorgt auch bei hellerem Umgebungslicht noch für einen kräftigen Farbeindruck, in dunkler Umgebung wirken die Farben knallig. Das Display deckt in etwa den sRGB-Farbraum ab. Der Schwarzwert liegt bei 0,41 cd/m2 und könnte besser ausfallen, denn so ergibt sich nur ein Kontrastverhältnis von 1195:1. Das ist ok, Displays anderer High-Ender schaffen aber deutlich mehr wie beispielsweise das LG G5 oder das HTC 10, die beide ebenfalls ein IPS-Display besitzen. Nicht besonders gut gefallen die Blickwinkel des P9. Bereits bei Abweichungen von etwa 20 Grad von der Mitte sowohl in der Vertikalen als auch in der Horizontalen nimmt die Helligkeit sichtbar ab. Das fällt beispielsweise auf, wenn man das Smartphone beim Gehen verwendet und es nicht ruhig in der Hand liegt. Insgesamt ist das Display leistungsmäßig im Mittelfeld angesiedelt.
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Anwendungs- und Grafikleistung
Leistungstechnisch spielt das Huawei P9 zwar vorne mit, aber nicht ganz vorne. Der hauseigene HiSilicon Kirin 955 SoC enthält einen flott arbeitenden Octa-Core-Prozessor mit 4 x 2,5 GHz und 4 x 1,8 GHz Kernen, die können ihre Leistung aber nicht immer voll ausspielen. Schaut man sich die Ergebnisse der synthetischen Benchmark-Tests an, dann ist der Übeltäter schnell ausgemacht: die integrierte Grafik. Die Mali-T880 MP4 verfügt lediglich über vier Shader und bremst bei Leistungsabruf die mögliche Gesamt-Performance aus. So kann das P9 nicht mit den Top-Smartphones mithalten. Bei den meisten Anwendungen merkt der Nutzer davon aber nichts. Selbst fordernde Grafikanwendungen wie beispielsweise Autorennspiele absolviert Huaweis P9 ruckelfrei. Das Mehr an Leistung, dass Samsung Galaxy S7 & Co. bieten, ist bestenfalls im direkten Vergleich spürbar. Auf diesen Smartphones funktioniert alles noch ein wenig flüssiger.
Ansonsten ist das P9 mit seinen 3 GB Arbeitsspeicher bestens aufgestellt, was sich beispielsweise beim Surfen bemerkbar macht. Das P9 baut Webseiten rasch auf und dank des großen Arbeitsspeichers sind auch schnelle Tab-Wechsel ohne ständiges Nachladen der Seiten möglich.
Bei geringem Leistungsabruf wird das P9 auf der Rückseite kaum mehr als handwarm, fordert man es stärker, dann erreicht es punktuell bis zu 56,8 °C, der Rest des Gehäuses erhitzt sich dann auf etwa 46 °C.
Android Marshmallow und EMUI 4.1
Zum Testzeitpunkt besitzt das Huawei P9 Android Marshmallow in der Version 6.0. Ein Update auf 6.0.1 war noch nicht verfügbar. Über das Google Betriebssystem stülpt Huawei die funktionale Emotion UI 4.1 (EMUI) Oberfläche, die eine einfache optische Anpassung nach eigenen Wünschen über Themes ermöglicht und einige nützliche Zusatzfunktionen mitbringt.
Auf Bloatware verzichtet der Hersteller weitgehend und liefert lediglich die gängigen Google Apps und ein paar „Top-Apps“ wie WPS Office, Facebook und Twitter sowie Tools wie beispielsweise einen Datei-Explorer, ein Backup-Programm und ein Notizbuch mit. Von den ebenfalls mitgelieferten Spielen sind nicht alle als Vollversion vorhanden. Bei Asphalt Nitro handelt es sich beispielsweise um eine Demo. Die lässt sich aber deinstallieren, um Speicherplatz freizumachen. Von den 32 GB internen Flash-Speicher stehen etwa 25 GB für den Anwender zur Verfügung. Eine Speichererweiterung um bis zu 256 GB ist über eine optionale microSDHC-Karte möglich.
Leica-Kamera(s)
Leica möchte zukünftig im Bereich der Smartphone-Kameras mitmischen und den Platzhirschen Samsung und Apple Paroli bieten, die im Samsung Galaxy S7 und Apple iPhone 6s Plus derzeit wohl die besten Kameras stellen. Statt nur einer einzelnen Kamera setzt Huawei im P9 gleich zwei Leica-Kameras ein, die eine Auflösung von 12 Megapixel besitzen. Eine davon nimmt in Farbe, die andere ausschließlich in Schwarz-Weiß auf. Ihr fehlt der Bayer-Filter, der für Farbaufnahmen zuständig ist, ansonsten sind beide Kameras identisch. Die Schwarz-Weiß-Kamera ist durch den fehlenden Farbfilter etwa um den Faktor drei lichtempfindlicher. Dadurch lassen sich die Lichtinformationen der Graustufen-Kamera besonders gut benutzen, um sie mit Farbinformationen der RGB-Kamera zu kombinieren und zu einem Bild mit höherem Dynamikumfang zusammenzurechnen. Außerdem kann der Fokus nachträglich verschoben, also unterschiedliche Tiefenschärfe erzeugt werden – zumindest wenn die Lichtverhältnisse bei der Aufnahme gut waren und die Aufnahme im Blendenmodus erfolgt ist.
Beim Fotografieren merkt man erstmal nicht, dass zwei Kameras ihren Dienst tun. Mit der Ultra-Schnappschussfunktion sind Aufnahmen in weniger als einer Sekunde im Kasten. Das ist nicht so schnell wie bei anderen Top-Smartphones, aber immer noch schnappschusstauglich. Bei einer festen Blende von f/2,2 gelingen im Automatikmodus sehr farbkräftige Fotos bei einer maximalen Auflösung von 3968 x 2976 Bildpunkten. Die Farben sind allerdings weniger realistisch: Blau geht in Richtung Cyan, Gelb wirkt grünstichig und Orange ist zu Gelb. Fotos wirken durch den hohen Kontrast und die außerordentliche Bildschärfe zwar beeindruckend, aber eben auch etwas unecht. Gut gefallen die Differenzierungen in hellen und dunklen Flächen. Hervorragend fällt das geringe Helligkeits- und Farbrauschen aus. Selbst in dunklen Lichtsituationen gelingen Fotos mit wenig Rauschen. Dabei muss man aber eine ruhige Hand haben, denn die Kameras besitzen im kombinierten Fotomodus keinen optischen Bildstabilisator. Im Monochrommodus überzeugen Schwarz-Weiß-Fotos mit guter Differenzierung.
Die Kamera-App fällt etwas anders aus als bei Huawei-Smartphones mit herkömmlicher Single-Kamera. Die Pro-Features wischt man einfach von unten nach oben ins Bild und hat so die Möglichkeit, unter anderem den ISO-Wert, die Belichtungszeit und den Lichtwert schnell einzustellen. Insgesamt gehört die Leica-Doppelkamera zu den besten Smartphone-Kameras und reiht sich hinter den Top-Geräten Samsung Galaxy S7 und iPhone 6s Plus ein.
Nicht ganz so gut sieht es bei den Videoaufnahmen aus, denn ein aktuelles High-End-Smartphone sollte Videos in 4K aufnehmen können. Beim P9 beschränken sich Bewegtbilder auf 1080p bei 60 Frames pro Sekunde. Die Qualität der Videos entspricht weitgehend den Fotoaufnahmen: hoher Kontrast, tolle Bildschärfe, aber einige Farben liegen etwas daneben. Ein Bildstabilisator sorgt beim Filmen für ruhigere Bilder.
Die 8-Megapixel-Frontkamera nimmt Selfies mit 3264 x 2448 Bildpunkten auf. Die Fotos gefallen: Farben, Kontraste und Bildschärfe wirken ausgewogen. Wer mag, schaltet Huaweis Bildverschönerungsfunktion hinzu, die über mehrere Stufen Falten und Hautunreinheiten mal mehr mal weniger übertüncht und das Foto insgesamt weichzeichnet. Videos zeichnet die Kamera in HD-Auflösung 720p auf. Da die Kamera auch in dunklen Räumen ansehnliche Ergebnisse liefert, eignet sie sich prima für Videochats.
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Schon gehört
Beim Sound ergab sich beim Test ein Déjà-vue-Effekt. Grundsätzlich entspricht die ordentliche Sound-Wiedergabe über den internen Mono-Lautsprecher und über das mitgelieferte Head-Set der des Huawei P9 Lite. Auch beim P9 sollte man die Lautstärke nicht zu weit aufdrehen, da der Klang sonst nur noch verzerrt wiedergegeben wird. Die Lautstärke reicht aber auch bei etwa zwei Drittel schon aus. Sie liegt noch etwas über der des P9 Lite.
Bässe sind bei Wiedergabe über den internen Lautsprecher nicht, Mitten im Ansatz vorhanden, Höhen sind in Ordnung. Sind keine externen Lautsprecher vorhanden oder schaut man sich ein YouTube-Video an, dann kann der interne Lautsprecher durchaus überzeugen.
Mit dem Headset wirkt der Klang etwas dünn, ohne aber alle Details zu unterdrücken. Bässe fehlen, Mitten sind auch hier ansatzweise vorhanden, die Höhen kommen nicht deutlich rüber. Alles in allem entspricht der Klang trotzdem einem Gerät der Oberklasse.
Sonstige Ausstattung
Die Ausstattung des Huawei P9 ist zeitgemäß und ist identisch mit der anderer High-End-Androiden: Das Smartphone unterstützt LTE-Datenfunk mit maximal 300 Mbit/s Down und 50 Mbit/s Up. Über eine Dual-SIM-Funktion wie die meisten anderen Huawei-Smartphones verfügt das P9 aber nicht. Per WLAN geht es über den Standard 802.11 a/ac/b/g/n ins Internet, sowohl im 2,4- als auch 5-GHz-Band. Als Nahbereichsfunk unterstützt das P9 Bluetooth 4.2 und NFC.
Akkulaufzeit und Ladezeit
Im Vergleich zum Vorgänger hat Huawei die Akkukapazität von 2680 mAh auf 3000 mAh erhöht. Ganz überzeugen kann sie dennoch nicht. Bei einem durchschnittlichen Nutzungsmix aus Telefonieren, Surfen, SiMSen, Mailen, Chatten, Musikhören und Videostreaming ist schon nach wenig mehr als einem Tag Nutzung Schluss. Unser Testvideo spielt das P9 schlappe 7:28 Stunden in Dauerschleife, was einen unterdurchschnittlichen Wert darstellt. Hier schneidet es nicht viel besser als das Huawei P9 Lite ab. Der Ladevorgang über den USB-C-Anschluss geht mit 02:42 Stunden aber flotter voran als bei dem kleinen Bruder. Dabei spielt das P9 seinen Vorteil mit einer Schnellladeautomatik aus.
Fazit
Das Huawei P9 kann hinsichtlich der Prozessor- und Grafikleistung nicht mit den Top-Modellen aus dem Android- und iPhone-Lager mithalten. Bei den verwendeten Materialien, der sehr guten Verarbeitung aber schon. Das Display ist solide, gehört aber nicht in ein High-End-Smartphone. Anders sieht es bei der Leica-Doppelkamera aus. Auch wenn die Aufnahmen einzelne Farben nicht realistisch wiedergeben: Als Foto-Smartphone gehört das P9 in jedem Fall zu den Top 5. Auch der Sound und die übrige Ausstattung des P9 können in der Oberklasse überzeugen.