Erstmals fertigt ein chinesischen Hersteller ein Nexus-Gerät im Auftrag von Google: Huawei ist für gute Hardware bekannt, allerdings hapert es bei der Softwareaktualisierung. Diese ist aber die Stärke der Google-Nexus-Geräte, die als erste neue Android-Versionen erhalten. Also eine Traumhochzeit? Wir haben das Huawei Nexus 6P mit 5,7 Zoll Bildschirm getestet.
Zu groß und zu teuer, lautete das Urteil über das letztjährige Google Nexus 6, das von Motorola gefertigt wurde. Dieses Jahr durfte Huawei zeigen, was der Hersteller drauf hat. Das Nexus 6P fällt etwas kompakter als der Vorgänger aus und ist günstiger zu haben.
Unaufgeregt: So lässt sich das mattschwarze Design des Nexus 6P wohl am besten zusammenfassen. Das langgestreckte Gehäuse mit Aluminiumrückseite besitzt oben und unten breite Ränder, die den Displayrahmen etwas schlanker erscheinen lassen, als sie sind. Im Vergleich zum von uns kürzlich getesteten Samsung Galaxy Note 5, dessen Bildschirm die gleiche Größe aufweist, ist das Nexus 6P deutlich größer: 77,8 mm breit und 159,3 mm hoch. Lediglich bei der Dicke punktet das Huawei-Gerät ein wenig und ist mit 7,3 mm einen Tick flacher als das Galaxy Note 5. Das Gewicht des neuen Nexus liegt bei 178 g, was angesichts der Abmessungen in Ordnung geht.
Die Rückseite wirkt aufgeräumt und weniger zerklüftet als bei anderen Top-Smartphones. Die Kamera sitzt am oberen Rand in einer abgegrenzten Fläche, die sich über die ganze Breite erstreckt. Das hat den Vorteil, dass die Kamera plan mit der dickeren Fläche abschließt und das Nexus 6P auf dem Tisch nicht kippelt.
Mittig befindet sich etwas eingelassen der Fingerabdrucksensor. Die Position hat den Vorteil, dass man den Sensor gut mit der Hand erreicht, die das Phablet hält. Liegt es hingegen auf dem Tisch, muss man das Smartphone erst aufnehmen. Der Fingerabdrucksensor funktioniert nach sehr kurzem Training zuverlässig und schnell, ist aber einen Tick ungenauer als die Lösung von Samsung. Die Bedienelemente Power und Lautsprecherwippen befinden sich in der rechten Rahmenkante. Sie sind sauber eingelassen, wackeln nicht und bieten einen genau definierten Druckpunkt. Mit der Positionierung kann ich mich weniger anfreunden, mir gefällt es besser, wenn Lautsprecherwippe und Power-Button an unterschiedlichen Seitenrändern sitzen. Beim Nexus 6P erwischte ich zumindest zu Beginn der Testphase öfter die falsche Taste.
Display
Das Nexus 6P besitzt ein 5,7 Zoll großes AMOLED-Display. Eigentlich könnte ich den Text vom Samsung Note 5 hier rein kopieren, denn es scheint sich um das gleiche Fabrikat zu handeln und weist damit die gleichen Stärken und Schwächen auf wie das koreanische Modell. Die Auflösung beträgt superbe 2560 x 1440 Pixel und zeigt mit 518 ppi ein knackscharfes Bild. Über Sinn und Zweck so hoher Pixeldichten lässt sich abseits von VR-Anwendungen trefflich streiten. Der große Vorteil von AMOLED ist der Schwarzwert, was zu einem äußerst kontrastreichen Bildeindruck beiträgt. Mit seinem Kontrast überzeugt auch das Google Nexus 6P.
Allerdings besitzt der Bildschirm einen erheblichen Nachteil: Betrachtet man ihn aus leicht spitzeren Blickwinkel, macht sich ein deutlicher Farbstich bemerkbar. Den gleichen Effekt stellten wir noch deutlicher beim Samsung Galaxy Note 5 fest, was die Vermutung nahelegt, dass in den beiden Phablets der gleiche Bildschirm zum Einsatz kommt und Huawei das Display von Samsung bezieht. Allerdings erreicht der Bildschirm des Nexus 6P eine geringere Helligkeit von 315 cd/m², ist aber dafür äußerst gleichmäßig ausgeleuchtet. Bei sehr hellem Umgebungslicht kann es passieren, dass Bildschirminhalte nur schwer ablesbar sind.
Bewährte, umstrittene Kost: Qualcomms Snapdragon 810
Der Überflieger 2014 musste 2015 Federn lassen. Hatte Qualcomm andere Prozessorhersteller im Android-Markt in den letzten Jahren die Rücklichter gezeigt, bröckelte die Vormachtstellung in diesem Jahr. Schuld war der Snapdragon 810. Das Top-Modell mit 64 Bit entpuppte sich in unseren Tests als Hitzkopf, der bei größerer Belastung gedrosselt werden musste und dann teilweise langsamer unterwegs war, als das letztjährige Topmodell Snapdragon 800. Qualcomm bestritt zwar Hitzeprobleme, überarbeitete aber den Snapdragon 810. Die letzte Inkarnation wanderte nun in das Nexus 6P.
Die Benchmarks fallen durch die Bank weg gut aus, wobei der Snapdragon 810 die Performance-Krone an den Exynos 7420 SoC von Samsung abgeben muss. Merken wird man von einem Performance-Unterschied aber kaum etwas. Das Nexus 6P bietet ausreichend Reserven für aufwendigere Anwendungen und bietet ein durchgehend flüssiges Bedienerlebnis.
Webseiten bauen schnell auf und lassen sich ohne Ruckler scrollen. Das Gehäuse erwärmt sich unter Last merklich, die Temperatur klettert dann auf über 50 °C. 3 GB Arbeitsspeicher sorgen dafür, dass man beispielsweise mehrere Tabs beim Surfen geöffnet halten kann, ohne dass Webseiten neu aufgebaut werden müssen. Beim Flash-Speicher kann es knapp werden: im Nexus 6P Testgerät stecken 32 GB, die nicht über microSD erweiterbar sind. Für Power-User könnten die 32 GB zu wenig sein, zumal dem Anwender nur rund 25 GB zur Verfügung stehen. Besser, man greift gleich zum 64-GB-Modell.
Kameras
Die hintere Kamera löst mit 12,3 Megapixeln auf und bietet damit eher gehobene Standardkost – wobei die reine Megapixel-Zahl wenig über die Qualität aussagt. Unterstützt wird die Kamera von einem Laserautofokus und Dual-LED-Blitz, der für natürlichere Farben bei Blitzeinsatz sorgt. Die Blende beginnt mit f2.0 und ist damit einen Tick weniger lichtstark als einige der Top-Konkurrenten. Ein optischer Bildstabilisator fehlt – eher ungewöhnlich für ein Phablet der High-End-Klasse. Die beiden Einschränkungen will Huawei mit größeren Sensor-Pixeln wettmachen, die mehr Licht einfangen können und deshalb weniger Rauschen liefern könnten. Dafür verzichtet man auf eine höhere Megapixel-Zahl.
Mit zweimaligem Druck auf den Power-Button öffnet sich die Kamera-App auch aus dem Ruhemodus und steht für einen sofortigen Schnappschuss bereit. Überhaupt richtet sich die Kamera-App eher an „Schnappis“-Jäger. Die Einstellungen sind dürftig und beschränken sich auf wenige Optionen. ISO, Blende und weitere Parameter muss man der Automatik überlassen. Diese funktionieren immerhin zuverlässig und die Kamera liefert gute Bilder mit ausreichend vielen Details und Durchzeichnung. Gegen die Top-Kameras in Smartphones von LG, Sony, Samsung und Apple gerät die des Nexus 6P allerdings ins Hintertreffen.
Videos nimmt die Kamera wie es sich inzwischen für ein High-End-Smartphone gehört in 4K auf. Das Nexus 6P trumpft mit der Möglichkeit auf, Zeitlupenaufnahmen bis zu 240 fps aufzunehmen.
Die vordere Kamera bietet mit 8 Megapixeln eine sehr hohe Auflösung, allerdings ist die Blende mit f/2.4 lichtschwächer als die der Hauptkamera. Die Bilder zeichnen sich zwar durch viele Details aus, rauschen aber.
Durchhaltevermögen
Der Akku ist nominell mit 3450 mAh sehr groß. Zum Vergleich: Das Galaxy Note 5 besitzt einen Akku mit lediglich 3000 mAh. Umso überraschender das Ergebnis des Laufzeittests, denn unser Testvideo saugte den Akku nach rund 9,5 Stunden leer. Unter gleichen Bedingungen erzielte das Note 5 immerhin eine Stunde mehr Akkulaufzeit. Im Gegensatz zum Note 5 machte das Nexus bei 5 Prozent die Grätsche und musste neu aufgeladen werden, während der Samsung-Konkurrent noch im Stromsparmodus weiterlief. Da die Displays nahezu identisch sind und bei gleicher Helligkeit betrieben wurden, können also nur Prozessor und Betriebssystem als Mehrverbraucher in Frage kommen. Wir haben den Verdacht, dass der Qualcomm-Prozessor mehr Strom verbraucht als der Chip von Samsung.
In der Praxis spielt der Unterschied eine untergeordnete Rolle: Über den Tag bei intensiverer Nutzung kommt man mit dem Nexus 6P gut, bis zu zwei Tage bei normal gemischter Nutzung. Das vollständige Aufladen des Akkus geht mit zwei Stunden erfreulich zügig. Eine besondere Erwähnung wert ist der USB-C-Stecker für das Ladekabel, der den allgemein üblichen Micro-USB-Anschluss ersetzt. Komfortabel ist die Möglichkeit, ihn in jeder Orientierung einstecken zu können. Google hat zudem mitgedacht. Der Adapter bietet ebenso eine USB-C-Buchse: Damit Anwender das Nexus 6P auch an anderen Adaptern oder am Notebook aufladen können, liegt ein kurzes USB-auf-USB-C-Kabel bei.
Aloha Nexus
Das vielleicht wichtigste Merkmal der Nexus-Serie ist das pure Android. Zwar muss man dadurch auf einige Spielerein verzichten, die andere Hersteller ihren Smartphones angedeihen lassen, gewinnt aber nicht zu unterschätzende Vorteile. Die Hauptsache: Man bekommt Updates dann, wenn Google sie fertig hat. Bei anderen Herstellern dauert es meist eine Weile, bis sie ihre Interpretation von Android angepasst und freigegeben haben. Wenn das überhaupt passiert. Huawei gehört zu den Herstellern, die für eine schleppende Update-Politik bekannt sind. Mit dem Nexus 6P muss man sich um das Thema keine Gedanken machen und erhält das Update direkt nach der Freigabe durch Google. Die wichtigsten Neuigkeiten von Android 6.0 Marshmallow haben wir im Blog übersichtlich zusammengefasst.
Sonstige Ausstattung
Als seinerzeit das HTC One (M7) mit Stereolautsprechern auf der Vorderseite debütierte, galt das als gelungene Innovation: Der Sound schallte dem Anwender kräftig und laut entgegen. Die gute Nachricht: Das Nexus 6P übernimmt das Prinzip der Lautsprecher auf der Frontseite und das Ergebnis ist eine beeindruckende Lautstärke, die einem mit gut erkennbaren Stereoeffekten entgegenschallt. Dass wegen des geringen Abstandes der Lautsprecher keine große Klangbühne entstehen kann, ist klar, aber schwerer wiegt, dass der Sound schwächelt: Bässe sind kaum vorhanden, Mitten verwaschen und die Höhen sind etwas überspitzt, sodass der Klang bei höherer Lautstärke schnell an den Nerven zerrt. Auf der höchsten Stufe nehmen Verzerrungen zu und können auch zum Klirren führen. Dämpft man die Lautstärke, fallen die Schwächen nicht ganz so auf. Das HTC One bleibt aber beim Klang eindeutig vorne.
Ein Schmankerl hält das Nexus 6P für Leute bereit, die es gerne bunt treiben: eine RGB-Benachrichtigungsleuchte neben der Frontkamera. Sie wird in den Einstellungen aktiviert, weitere Optionen hält das Smartphone zum Licht nicht bereit. Dafür muss man eine App wie Light Flow oder Light Manager bemühen, die kostenpflichtig oder werbefinanziert sind und denen man eine Tonne an Rechten zuweisen muss. Optimal ist das nicht, eine Steuerung direkt in Android hätte uns besser gefallen.
Technische Daten Nexus 6P
Betriebssystem | Android 6.0 Marshmallow |
Display | AMOLED, 5,7 Zoll (2560 x 1440, 518 ppi) |
Prozessor | Qualcomm Snapdragon 810 Octa-Core 64 Bit (4 x 2 GHz, 4 x 1,5 GHz) |
Arbeitsspeicher/ Flash-Speicher |
3 GB / 32 GB (Testmodell) / 64 GB (Shop) |
WLAN | IEEE 802.11 a/ac/b/g/n |
Datenfunk | LTE, HSDPA, Quadband |
Nahbereichsfunk | Bluetooth 4.1 / NFC |
Frontkamera | 8 Megapixel |
Hauptkamera | 12,3 Megapixel, 4K, Full HD |
Akku | Lithium-Polymer (3450 mAh) |
Abmessungen / Gewicht | 159,4 x 77,8 x 7,3 mm / 178 g |
Fazit
Das Nexus 6P reiht sich nahtlos in die High-End-Klasse ein und leistet sich kaum Schwächen. Die Nennenswerteste ist der Farbstich des ansonsten brillanten Displays bei nur leicht spitzeren Blickwinkeln. Zudem muss man auf einen microSD-Slot verzichten. Die Lautsprecher könnten einen etwas gefälligeren Klang ausgeben und die Kameras erreichen nicht die Qualität der Spitzengruppe. Das ist aber Jammern auf hohem Niveau. Wer das Nexus 6P erwirbt, erhält ein sehr gut verarbeitetes Smartphone mit einer hervorragenden Ausstattung sowie die Update-Garantie von Google. Das ist seinen Preis wert.
Das Huawei Nexus 6P mit 64 GB lässt sich auf notebooksbilliger.de vorbestellen.
Einen ausführlichen Test zum Nexus 5X findest du in unserem Blog.